„Wie nach dem Erwachen“

■ Ein agnostischer Film über Erfahrungen am Randes des Religiösen — Gespräch mit Regisseur Peter Weir über seinen Wettbewerbsfilm „Fearless — Jenseits der Angst“

taz: Max Klein, der Held von „Fearless“ macht eine extreme Erfahrung durch. Mr. Weir, es gibt in Ihrem Film zahlreiche Bilder aus der christlichen Mythologie. Benutzen Sie diese Bilder nur, um diese Erfahrung zu beschreiben, oder haben Sie eine innigere Beziehung zur Religion?

Peter Weir: Das erstere. Als ich daranging, den Film zu machen, war ich gerade dabei, schulbedingte Bildungslücken aufzufüllen, was Religion und klassische Literatur betrifft. Erst da habe ich angefangen, mich für religiöse Fragen zu interessieren. Dieses Interesse war gewissermaßen eine Unterströmung, als „Fearless“ entstand. Aber eigentlich bin ich durch Gespräche mit Katastrophen-Überlebenden auf mein Thema gekommen. Diese Menschen haben mir davon erzählt, wie sich die Wahrnehmung verändert, wie die Dinge plötzlich eine Aura des Symbolischen bekommen, ohne daß man gleich wüßte, wie sie zu interpretieren wären — ein bißchen so wie kurz nach dem Erwachen. Der Held in meinem Film versteht sich selber ja als Materialist und Rationalist. Dann steht er nackt vor dem Spiegel und sieht, daß er da diese seltsame Wunde auf der Brust hat, wie Jesus.

Ein sehr starkes Bild.

Ja, ein extremes Bild. Er bekommt einen Wink, ohne ihn deuten zu können, denn sein Intellekt arbeitet in dieser Situation nicht auf gewöhnliche Weise. Er ist ganz auf seine Sinneswahrnehmung zurückgeworfen.

Sie haben mehrere Filme gemacht, in denen Liebesgeschichten eine zentrale Rolle spielen — „Ein Jahr in der Hölle“, „Der einzige Zeuge“ und „Green Card“. In ihrem neuen Film geht es um seltsame Formen von Liebe.

Die Liebe, die Max Klein nach seinem Unfall empfindet, gilt der Menschheit, so eine Art erhabenes, allumfassendes Mitgefühl.

Das hat etwas Buddhistisches.

Ja, vielleicht, aber dieses Gefühl kann einen auch zum Revolutionär machen, wie Che Guevara oder Fidel Castro in ihren frühen Tagen. Die waren von Liebe und Mitleid beseelt. Man kann aber keine persönlichen Beziehungen zu solchen Leuten haben. Sehen Sie, Christus war einsam, Buddha war einsam, ohne Freunde und Familie.

„Fearless“ ist auch ein Film über jemanden, der aus den menschlichen Beziehungen herausgeschleudert wird. Max' Frau denkt, als er die Nähe von Carla sucht, daß es sich bei deren Beziehung um Verliebtheit, womöglich um eine Affäre handeln muß. Damit hat diese Geschichte aber nichts zu tun.

Nein, das ist tatsächlich keine romantische Liebe. Es ist eher die Art von Liebe, die aus dem Krieg heimgekehrte Soldaten füreinander empfinden können. Oder Menschen, die in extremen Situationen aneinander geraten. Vielleicht können Sie sich noch an jene britische Maschine erinnern, deren Triebwerke über Indonesien wegen eines vulkanischen Ausbruchs aussetzten. Die Düsen waren von vulkanischem Staub ungefähr zehn Minuten lang blockiert, das Flugzeug fiel vom Himmel. Dann haben sie irgendwie die Motoren wieder zum Laufen bekommen und es am Ende geschafft. Die Leute aus diesem Flugzeug haben einen Club gegründet, sie treffen sich regelmäßig, schreiben sich Briefe.

Manche Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, traditionelle Vorstellungen von Familie restaurieren zu wollen. Ich habe diese Absicht in ihrem neuen Film überhaupt nicht erkennen können. Mir scheint es da eher um die Ambivalenz einer starken Erfahrung zu gehen. Max Klein bekommt durch seinen Unfall einerseits ein starkes Machtgefühl, andererseits wird er völlig isoliert. Er braucht einen zweiten Schock, einen zweiten Schmerz, um wieder in jene Sphäre zurückzukehren, in der die gewöhnlichen Menschen leben.

Worauf es mir bei dem Schluß ankam, den diese Leute offenbar mißverstanden haben, waren die Worte: „Ich bin am Leben.“ Max' Lachen, in das seine Frau schließlich einstimmt, drückt ein kosmisches Gefühl aus. Ich habe bei der Entstehung des Films auch an das Wort „Ekstase“ gedacht, an Zustände, die durch Religion, Kunst und Drogen — „Extasy“ — zu erreichen sind. Mit dem New Age- Zirkus habe ich aber nichts zu tun. „Liebe die Natur“ – welch ein Unsinn. Alle lieben die Natur, alle Politiker lieben die Bäume.

In der Schlußsequenz sieht man in Zeitlupe, wie das Flugzeug zerfetzt wird. Ich fand diese Bilder ästhetisch sehr ambivalent, denn der reine Schrecken, die Gewalt der Zerstörung, erscheint hier wunderschön. Mich hat das sehr an die Szene in Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ erinnert...

...wo das Haus explodiert, ja, richtig, der Schrecken hat da auch ein Moment von Freiheit. Genau wie in dieser phantastischen Geschichte von Poe, die ich kürzlich gelesen habe, „Der Maelstrom“, wo auch das Schöne mit dem Schrecklichen Hand in Hand geht. Da gerät jemand in einen Strudel, und während er die Spiralbewegung beobachtet, von der er erfaßt worden ist, bemerkt er, wie wunderschön diese Erscheinung ist. Er verliert alle Angst, während er seinem eigenen Untergang zuschaut. Aber Poe habe ich erst gelesen, nachdem der Film fertig war.

Der Film ist in den USA nicht sehr gut gelaufen. Warum waren die verantwortlichen Leute Ihres Studios bei diesem Projekt so optimistisch? War es das Vertrauen in Ihre Fähigkeiten als Regisseur?

Ja, und sicher auch die Tatsache, daß ich angeboten habe, den Film zu einem relativ günstigen Preis zu machen.

Schadet der Mißerfolg auf dem amerikanischen Markt Ihrer Position in Hollywood sehr?

Ich glaube, es gibt auch in Hollywood großen Respekt für den Film. Interview: Jörg Lau