Extrem verfeinert

„Sopynoje“ erzählt vom koreanischen Volks-Rap Pansori und einem Weg zur Vergeistigung (Panorama)  ■ Von MAERZ

Mit der demokratischen Erneuerung Koreas bildete sich in den achtziger Jahren die Bewegung des „Neuen koreanischen Kinos“ heraus, das sich ausführlich und ungewöhnlich kritisch auf eine kühl-rationale Weise mit gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen beschäftigte. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Strömung gehört Im Kwon Taek. Mit „Sopynoje“, einem sehr stillen, stilisierten, nachdenklich nach innen gewandten Film über künstlerische Ethik, setzt er seine ungewöhnliche Karriere konsequent fort, die er mit action-orientierten Filmen begonnen hat und die ihn über Sozialdramen zu immer eindringlicheren Gefühlsstudien führte. In Südkorea wurden seine Filme trotz ihres hohen künstlerischen Anspruchs zum Teil überragende kommerzielle Erfolge.

„Sopynoje“ beginnt kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als nach dem Abzug der Japaner auch deren traurige Enka- Lieder verschwanden. Damit begann eine neue Blüte für den koreanischen Volks-Rap, das Pansori. Bis in die sechziger Jahre mit dem Beginn des koreanischen Wirtschaftswunders brachten diese Songs Bauern und Oberschicht gleichermaßen in Schwung.

Der Film klammert jeden Kommentar, jeden Bezug zum Koreakrieg, zur Teilung des Landes und zur Diktatur aus und konzentriert sich völlig auf die persönliche Entwicklung dreier Berufsmusiker. Obwohl über Jahrzehnte ständig im Land unterwegs, sieht man sie nur durch unbedeutende Ortschaften kommen, die sich im Zeitalter der Massenmedien und der Motorisierung ländliche Verschlafenheit bewahrt haben. Den industriellen Fortschritt nimmt man nur insoweit wahr, als er die immer vergeblicheren Versuche der Musiker betrifft, Zuhörer für die Traditionals des veraltenden Pansori- Gesangs zu finden.

Pansori ist eine sehr ausgeprägte, gleichzeitig äußerst reduzierte Musikform. Ein Sänger oder eine Sängerin wird von einem Trommler begleitet, der nur akzentuierend, kommentierend, selten kontrapunktiv die oft bis zum Äußersten exaltierten Rezitative mit spärlichen Rhythmen unterstützt. Eine typisch ostasiatische, tief vom Buddhismus beeinflußte Kunstform, die umso tiefere (Charakter)-Ausbildung erfordert, je spielerischer und selbstverständlicher sie selbst komplexen emotionalen Zuständen eine skizzenhafte Einfachheit verleiht.

Den besonderen Reiz des Pansori macht hierbei die Kombination mit dem leidenschaftlichen, etwas aufgekratzten Charakter der Koreaner aus. Die ganze Vielfalt des Lebens liegt in diesen Liedern, eine Reichhaltigkeit, ein unbändiges Gefühl durchströmt sie. Das macht gleichfalls die großartige Schönheit und Souveränität dieses Films aus, dem es gelingt, den spröden Reiz der Darbietung und den Gehalt der Lieder dem Zuschauer näherzubringen und auf ihn zu übertragen: ihm in der stillen Zurückgenommenheit der Bilder die Möglichkeit zu geben, sich ganz auf den tosenden Rhythmus der Welt, ihr lebendiges Pulsieren zu konzentrieren.

Schon die Eingangsszene eines nur mittelmäßig improvisierten Stücks nimmt einen nach kurzer Gewöhnungsphase an die oft schrillen Töne gefangen. Nach dem überwältigenden Schlußduett der sich liebenden Stiefgeschwister, die nicht zueinander finden können, versteht man, warum nach sensationell erfolgreichen Aufführungen von „Sopynoje“ dieser hochdramatische Sprechgesang in Korea eine ungeahnte neue Popularität erfahren hat.

Die Geschichte kreist um einen hochbegabten, aber gesellschaftlich und künstlerisch gescheiterten Musiker und die Ausbildung eines Stiefgeschwisterpaares zu Pansori- Sängern durch ihn. Fehltritte und Intrigen zwangen ihn, seine glänzende Karriere in der Hauptstadt Seoul aufzugeben. Verbittert, aber hochmütig bestreitet er ein karges Leben als fahrender Künstler. Sein Talent bleibt unerreicht. Er beginnt am fortschreitenden Desinteresse seiner Umwelt zu zerbrechen. Dennoch führt er verbissen die harte Ausbildung seiner Kinder fort.

Als sein Sohn, inzwischen ein junger Mann, die Sinnlosigkeit des halsstarrigen, zum Scheitern verurteilten Unterfangens erkennt und nach Seoul aufbricht, bleibt dem gealterten Mann nur ein Ausweg. Um doch noch sein Ziel zu erreichen, die Tochter zur extrem verfeinerten Sinnlichkeit des Sopynoje-Pansoris, zur inbrünstigen Zärtlichkeit, wie er sagt, zu bringen, greift er zu einem finsteren Mittel: durch einen giftigen Kräutertee läßt er sie erblinden. In ihrer Dunkelheit soll sie sich auf ein allgemeines Leidensprinzip konzentrieren, es überwinden und transzendieren. Wenig später stirbt der geschwächte Alte.

Ohne die wahren Hintergründe ihrer Erblindung zu erfahren, zieht sich das Mädchen immer tiefer in sich zurück. Ihre Empfindungen setzt sie um in Gesang. Anfangs klingt das wie das stammelige Gebrüll einer Irren. Dann erschließt sich die Reinheit ihres expressionistischen, ekstatischen Super-Blues, der alles Leben zu fassen in der Lage ist.

Nach Jahren der Suche findet der Bruder seine Schwester wieder. Für eine Nacht begleitet er ihre Gesänge auf der Trommel. Dann trennen sie sich für immer. Ein Zuhörer sagt, es hätte geklungen wie ein Liebesakt. Auch auf den Zuschauer überträgt sich diese vorbehaltlose Intimität.

In „Sopynoje“ geht es nicht um das Grundproblem eines gelebten Buddhismus wie in Im Kwon Taeks Meisterwerk „Mandala“ (1981) oder in seinem „Come, Come, Come Upward“ (1989). In beiden Filmen wird ein unorthodoxer Weg zur Vergeistigung durch direktes Eingreifen ins weltliche Geschehen geschildert. Auch „Sopynoje“ erzählt von einem ganz persönlichen Weg zur Vergeistigung, Reinigung, Integrität. Hier wird – gezwungenermaßen – der umgekehrte Weg immer weiter heraus aus dem Alltagsgeschehen beschrieben. Vielleicht eine Allegorie auf die gewaltsame Unterdrückung und aufgezwungene Introspektive der politischen Klasse während der Militärdiktatur?

Das eigentliche Thema des Films ist im aporistischen Dilemma der verschiedenen Möglichkeiten und Sinngebungen zu suchen. Damit gleicht es den paradoxen Fragestellungen zen- buddhistischer Koans, Meditationsaufgaben wie der über das berühmte einhändige Klatschen. Neues buddhistisches Kino also, richtig stofflich, kraftvoll, episch, erfahrungsgemäß bewußtseinserweiternd.

Im Kwon Taek: „Seo-Pyon-Jae aka Sopynoje“. Südkorea 1993, 112 Minuten. Musik: Kim Soo Chul; Darsteller: Kim Myung Gon, Oh Jung Hae, Kim Kyu Chul u.a.

12.2. Atelier am Zoo 23.30h; 13.2. Filmpalast 22.30h und 14.2. um 15.30h