Kindlicher Toll-free-Terror

■ Zunehmend greifen Kids, ohne Ambitionen auf ein Hotelzimmer, zum Hörer und wählen die gebührenfreien Rufnummern von Hotelketten und -kooperationen an

„Du mich auch“, faucht Anette Weber (Name geändert) wütend ins Telefon und unterbricht die Verbindung. Die Telefonistin, die zwei der zehn Toll-free-Anschlüsse der Hotelkooperation Queens Hotel in Frankfurt bedient, ist sauer. Wieder hatte sie es mit einem Anrufer zu tun, der die kostenlose Nummer zu üblen persönlichen Ausfällen nutzt. Etwa jeder zweite Anruf, den sie entgegennimmt, gehört in diese Kategorie, und die Teilnehmer am anderen Ende der Leitung sind weniger Psychopathen, Halbirre oder andere abnorm veranlagte Zeitgenossen, sondern vor allem Kinder und Jugendliche.

Die jungen Anrufer nutzen den Gratisdialog mit den Damen in den Telefonzentralen für Beleidigungen und makabre Scherze. Auch vor massiven Drohungen schrecken sie nicht zurück. „Eigentlich haben wir Anweisung, bei Anrufen dieser Art sofort wieder aufzulegen, aber meistens hört man eben doch zwei, drei Sätze hin und ärgert sich dann.“ Die gebührenfreie Queens-Nummer ist fatalerweise einer anderen Toll-free- Line – einer bundesweit im Fernsehen werbenden Partnervermittlung – nicht unähnlich, was hier verschärfend hinzukommt.

Anette Weber bei Queens ist kein Einzelfall. Immer häufiger klagen die Damen in den Toll-free- Zentralen in Amsterdam, Brüssel und Frankfurt über den kindlichen Telefonterror. Bei der Best-Western-Kooperation liegt die Quote der Scherzanrufe zwischen 30 und 50 Prozent, das heißt, von durchschnittlich 1.500 täglichen Anrufen sind bis zu 750 keine echten Anfragen. Da stellt sich schon die Frage, wie rentabel so eine Toll-free-Line ist, denn allein im vergangenen Jahr hat Best Western 750.000 Mark für die Telefonkosten der Freinummer an die Bundespost überwiesen.

Jochen Oehler, Pressesprecher der Hotelkooperation in Deutschland, bedauert die Situation, sieht aber keine Möglichkeiten, auf eine Toll-free-Line zu verzichten: „Ärgerlich sind vor allem die Warteschleifen, die für unsere Kunden durch den Telefonmißbrauch entstehen. Wer nach längerem Warten keinen Anschluß erhält, legt wieder auf und versucht sein Glück woanders.“

Aber auch anderswo sind die telefonierwütigen Kids ein Problem. Ganz schlimm sei es in den Schulferien und am Wochenende, berichtet eine gestreßte Mitarbeiterin der Hyatt-Reservierungszentrale in Frankfurt. Schon am frühen Morgen meldeten sich die jungen Anrufer mit derben Sprüchen und provozierenden Fragen. „Manchmal gehen wir darauf ein und fragen genauso dumm zurück, bei Warteschleifen legen wir aber sofort wieder auf.“

Bei der Mövenpick-Kette dagegen reagiert man eher gelassen. Telefonistin Renate Fabiani nimmt sich die Zeit, mit den meist deutschen Anrufern ein bißchen mitzujuxen oder unangenehmen Gesprächspartnern auch mal Kontra zu geben.

Für das Reservierungsoffice der Hilton-Kette in Amsterdam, mit 25 Leitungen übrigens das größte in der europäischen Hotellerie, ist der Telefonterror offiziell kaum relevant. Hilton-Sprecherin Anette Zierer-Ludwig: „Die rufen höchstens in unseren Häusern an und geben sich als Bravo-Nachwuchsreporter aus, um an die bei uns logierenden Stars heranzukommen.“ Eine Hilton-Telefonistin meint, das Phänomen der Kinderanrufe sei wohlbekannt und vor allem während der Urlaubszeiten belastend.

Warum leiden nur bestimmte Hotelgruppen so stark unter dem Toll-free-Terror? Wahrscheinlich wegen ihrer kurzen und einfach zu merkenden Rufnummern. Best Western, Queens und Hyatt haben, im Unterschied zu sechsstelligen Konkurrenz-Rufnummern, nur eine vierstellige Freeline. Jochen Oehler von Best Western sieht als „ganz wesentlich auch die Präsenz am Markt“, die neben buchungswilligen Kunden eben auch schwarze Schafe anziehe.

Wie auch immer, keiner der vom Mißbrauch betroffenen Toll- free-Line-Anbieter kann in Zukunft auf diesen kostenlosen Kundenservice verzichten. Und so werden wohl auch die Damen in den Reservierungszentralen weiter mit ihrer ungeliebten Klientel im Clinch liegen. Peter Völkner