Kriegsgeile Kiebitze

Kluge Rezepte erschüttern die österreichische Innenpolitik  ■ Aus Wien Robert Misik

Österreichs Außenminister Alois Mock ließ es sich trotz seiner schweren Krankheit nicht nehmen, am vergangenen Montag vor die Kameras zu treten. Er sei, so der ehemalige Chef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), für eine Bombardierung der serbischen Artilleriestellungen.

Zumindest soviel läßt sich mit Sicherheit prognostizieren: Kriegsentscheidend wird diese Wortmeldung des martialischen Ministers nicht sein. Aber sie reiht sich in eine schon festgefügte Tradition ein: Wann immer es darum ging, zum Waffengang gegen die serbischen Aggressoren – wie vordem in Kroatien so nun in Bosnien – aufzurufen, wollten die österreichischen Chefdiplomaten nicht abseits stehen.

Eine besondere Kenntnis der balkanischen Angelegenheiten – so werden speziell die Beobachter aus den Reihen der Volkspartei seit Ausbruch der Krise nicht müde zu betonen – qualifiziere die Alpenrepublik dazu, allen anderen sinnvolle Ratschläge zu erteilen. „Es ist wie in der Medizin“, brachte es der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Andreas Khol, schon vor eineinhalb Jahren auf den Nenner: „Es gibt Ärzte, die diagnostizieren – und jene, die operieren.“ Danach hätten die Offiziere von Nato und US-Außen- und Verteidigungsministerium eben schon früher den Anweisungen der Wiener Spezialisten lauschen und dann nur noch ihre Star- Fighters in Bewegung setzen müssen.

Die Liste der wohlmeinenden Ratschläge aus Wien ist mittlerweile fast so lang wie die der gescheiterten bosnisch-serbisch-kroatischen Friedensverhandlungen. Die vor zwei Jahren mit Inbrunst vorgetragene Prognose, wonach die Anerkennung der sezessionistischen Republik Ex-Jugoslawien das Blutbad verhindern werde, dröhnt noch heute in den Ohren der Fernsehzuschauer. Schon im Vorfeld des Zerfalls der jugoslawischen Föderation haben Österreichs Konservative die Sezessionisten ermuntert, ohne daß es auch nur die Andeutung einer Chance zu ihrer wirklichen Unterstützung gegeben hätte; und daß Österreich sich auch heute nicht an einem Waffengang zugunsten des belagerten Sarajevo beteiligen wird, ist ebenso klar.

Dieses Mißverhältnis zwischen martialischer Rhetorik und realer militärischer Impotenz ist seit Beginn der Krise erkennbar; es wird von manchen Intellektuellen einer scharfen Kritik unterzogen. Am weitesten ging hierbei der Wiener Philosophieprofessor Rudolf Burger, der den Außenminister in einem vielbeachteten Aufsatz einen „kriegsgeilen Kiebitz“ nannte.

Im Laufe des Jahres 1990 – Österreich schien von den hysterischen Nationalismen in sonderbarer Art regelrecht angesteckt – löste der Streit um die Jugoslawien-Politik sogar eine veritable Regierungskrise aus. Bundeskanzler Franz Vranitzky war bemüht, sich nicht allzuweit von der Linie der EG zu entfernen und jeden Eindruck von Parteinahme zu vermeiden. Kroatischen Spitzenpolitikern sagte er etwa, „Österreich werde in keiner Weise Einfluß auf die künftigen innerjugoslawischen Regelungen nehmen.“ Im Außenamt führten derlei Aussagen regelmäßig zu Wutgeschrei.

Die Verve, mit der sich Österreichs Konservative von Anfang an engagierten, hat wohl nicht nur mit der bekannten konfessionellen Nähe zu Kroaten und Slowenen zu tun. Am Anfang des ersten Jugoslawien stand der Zerfall der Donaumonarchie, der von der österreichischen Rechten nie verwunden wurde. Das Ende des zweiten Jugoslawien erscheint ihnen heute als späte Rache am serbischen „Erbfeind“.

Nur mehr aus dem Reich des Grotesken stammt allerdings nun jene Selbsternennung zum „diagnostizierenden Arzt“, bei der gerade die Verwicklungen der Habsburgermonarchie im 19. und 20. Jahrhundert in die Bruchzonen der Balkanpolitik als Beweis für besondere Sachkunde ins Treffen geführt werden.

Dabei war gerade die Politik Wiens gegenüber Serbien und Bosnien eine Kette von Fehlentscheidungen, die 1908/09 mit der Einverleibung Bosniens in die Donaumonarchie endete – und einen Meilenstein auf dem Weg zum Ersten Weltkrieg bildete.

Vielleicht ist doch etwas dran am Vergleich mit den Ärzten: Bekanntlich haben diese ein kurzes Gedächtnis – speziell, was ihre Fehldiagnosen betrifft.

Der Autor ist Deutschland-Korrespondent des Wiener Wochenmagazins „Profil“