■ Bonn-apart: Achtung, Kamera!
Die Fernsehteams sind zu Recht gefürchtet, wenn die öffentliche Meinung in Bonn vor verschlossenen Türen auf die neuesten Meldungen lauert. Heutzutage gehen die Vertreter der gedruckten Erzeugnisse vor den gewichtigen Kamera- und Tonleuten wohlweislich in Deckung. Wer nur mit Papier und Bleistift bewaffnet ist, hat keine Chance gegen den schwer ausgerüsteten Troß, der sich kollektiv in Bewegung setzt, wenn eine dieser Türen sich öffnet und ein O-Ton herauskommt. Doch die ausgleichende Gerechtigkeit schenkt der schreibenden Zunft auch immer wieder Gelegenheiten, bei denen die Vertreter der schnellen Medien nur von Herzen zu bedauern sind. – So am letzten Dienstag abend, als im Saal D des Bundesrats die Kompromißsuche in Sachen Pflegeversicherung fortgesetzt wurde. Für die allermeisten Zeitungen des nächsten Tages war es schon längst zu spät. Aber weiß denn der Fernsehmann, ob er nicht noch abends um elf die Einzelheiten einer vertrackten Kompensationslösung erklären muß? Es bleibt ihm nichts übrig: er muß sich auch mit den seltsamsten Ideen auf der Stelle beschäftigen. Der Vorschlag mit der Unfallversicherung könnte einen Durchbruch bringen, hatte der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, Heribert Blens, fallenlassen, als er duch das Spalier der Kameras und Mikrophone in Saal D eilte. Das Gerücht war schon am Nachmittag aufgetaucht. Im Durchschnitt kostet die Unfallversicherung den Arbeitgeber 1,47 Mark auf 100 Mark Einkommen, aber nur im Durchschnitt, läßt sich der Beamte aus dem Blüm-Ministerium vor dem Saal abringen. Wären also über den Daumen 1,5 Prozent (soviel kostet der Pflegebeitrag ab 1996). Ein Viertel der Unfallversicherungsbeiträge sollen die Arbeitnehmer künftig selber zahlen – das bringt wieviel? Niemand weiß es. Der Beamte weist noch einmal darauf hin, daß die 1,47 nur eine Durchschnittszahl sei. Er wisse zwar auch nicht warum, aber im Zusammenhang mit der Pflegekompensation spiele das eine Rolle. Der Kollege aus dem sozialdemokratischen Stab rechnet vor, daß ohnehin alles schon überkompensiert sei. Einer will schnell noch wissen, wieviel die Verschiebung des Buß- und Bettags von Mittwoch auf Freitag einspielt. Eine Milliarde oder drei, oder ging es hier nur um Millionen? Es läßt sich leider nicht genau aufklären. Im Saal D auch nicht. Nach vier Stunden öffnen sich die Türen, und was jeder schon vor der Sitzung wußte, ist amtlich: kein Ergebnis. Nächsten Donnerstag geht es weiter. Tissy Bruns
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