Ein Held, der scheitern darf

■ Kantine im Schauspielhaus: „Pu der Bär“ mit Harry Rowolth

So alt wird sonst kaum ein Bär. Schon 1926 veröffentlichte Alan Alexander Milne die kleinen Abenteuer eines honiggierigen, liebenswürdigen, vergeßlichen, nicht ganz intelligenten Bären unter dem Titel „Winnie the Pooh“. Das Kinderbuch, 1928 deutsch als „Pu der Bär“ erschienen, gilt inzwischen als Weltklassiker und ist noch immer auch bei Erwachsenen beliebt.

Um im Pensionsalter bei wachsender Comic- und Videokonkurrenz weiterhin auch den Einzug in deutsche Kinderzimmer zu schaffen, schuf Harry Rowohlt Pu, Ferkel, Kaninchen und Co. nun ein junges sprachliches Gewand. Aus der neuen Übersetzung lasen Rowohlt und die Schauspielerin Anne Weber zur späten Stunde in der Kantine des Schauspielhauses.

Rowohlt und Pu, wer neben der taz heimlich Die Zeit liest, weiß das, haben seit einigen Jahren fast ein schizophren-symbiotisches Verhältnis zueinander: In der Kolumne „Poohs Corner“ äußert Harry als Pu die Gedanken, „Meinungen und Deinungen eines Bären von geringem Verstand“. Da war es fast zwingend, daß Übersetzer Rowohlt nach vielen Flann O'Briens oder auch „Jack der Bär“(!) von Dan McCall endlich den Original-Pu ins Rowohlt'sche formte.

Vom Fallen Bauen und in eigene Fallen Fallen, vom Suchen, von Geburtstagen und Geschenken oder Häusern, die verschwinden, vom Steckenbleiben in Honigtöpfen oder in Kaninchenhäusern handeln die Geschichten. Kleine, unauffällig-skurrile Alltäglichkeiten im Leben eines Bären, der versucht, die Welt gemeinsam mit Freunden durch Nachdenken und Fragen zu erkunden - mangels Intelligenz mit unterschiedlichem Erfolg. Doch Pu ist ein Held, der scheitern darf. Das Happy- End besteht darin, daß alle Freunde bleiben und sich lieben.

Anne Weber begann in der von großen Menschen übervollen Kantine den Kapitelreigen mit einer Pu und Ferkel-Geschichte. „Ich jage“, sagte Pu, „ich frage mich was“. Das ängstliche Ferkel gesellt sich zu der Jagd nach den Wuscheln und Wischeln, „falls sie es sind“. Dabei laufen sie nur im Kreis um ein Dickicht ihren eigenen Spuren hinterher. Anne Weber läßt mit ängstlich-piepsiger Ferkelstimme und scheinbar abgeklärtem Pu-Alt mit jeweils passender Mimik, überlegten Pausen und Betonungen die Figuren im Raum entstehen.

Rowohlt übernimmt vor allem die Geschichten, in denen Pu auf den Esel I-A trifft. Mit einer unbeschreiblichen Stimme - rauchig-nasal, männlich-cool - und einem ultratrockenem Humor liest er den düster-zynisch-melancholischen Esel: „Guten Morgen, falls es ein guter Morgen ist.“ Oder auf die Frage wie es ihm gehe: „Mir scheint es schon seit längerer Zeit überhaupt nicht mehr gegangen zu sein.“ In der Kantine blieben nach knapp zwei Stunden alle auch noch für eine Zugabe zusammen. Der „Bär von sehr geringem Verstand“ sorgt selbst nachts für Konzentration. Zumindest, wenn er so einfühlsam liebevoll-komisch gelesen wird.

Niels Grevsen