Ganz manierlich - doch wie lange noch?

■ Sonntag nachmittag an der St. Pauli Hafenstraße: Szenen zwischen Sozialromantik und Achselzucken Von Sannah Koch

Rot versenkt sich in Grün – Regenbogenfarben, aufgetragen auf schmutzig-blond und maus-braun, verfilzen beim Tête-à-tête. Balduin-Treppe, ganz unten: Herzen von Sozialromantikern mit Neigung zur Schmuddelästhetik – hier schlagen sie höher. Wenn Punkpärchen trotz Minusgraden auf den Stufen des Ahoi beim Kuß Zeit und Welt vergessen und räudige Hunde undefinierbarer Rassen, aber freundlichen Gemüts, verwegen die Treppe hoch und runter toben – dann sind das Szenen, eiskalt und sonnig, am Sonntag nachmittag an Hamburgs Hafenstraße.

Szenen, die weniger verkitschte Gemüter allerdings für verzichtbar halten: „Hafenstraße, das heißt doch Krawall“, murmeln einige Damen älteren Semesters beim Vorbeiflanieren. Nur „Mutti“ im Babyrobben–Mantel fragt mit weinerlicher Stimme: „Warum haben die denn dieses Haus nicht so schön bunt angemalt?“

Sonntag nachmittag, Sternstunden der Hobbyfotographen am Hafenrand. Und noch ein Erinnerungsbild fürs Album, und der Papa sagt zum Sohne: “Guck' mal, das da drüben ist die Hafenstraße!“ Nur, wie lange noch? Die Ablehnung des Bundesverfassungsgerichts, sich mit ihrer Beschwerde gegen die Räumungsurteile zu befassen (taz berichtete), beschäftigt die BewohnerInnen, zum späten Frühstück bei Tante Hermine versammelt, selbstredend. Und wenn auch durch diese Ablehnung das Ende der juristischen Fahnenstange erreicht ist, möchten einige den Rotroben zu gerne noch eins mitgeben. Denn, so meinen einige JuristInnen, das Durchsickern der Entscheidung vor der offiziellen Bekanntgabe könnte einen Straftatbestand darstellen. Aber ob das noch etwas bringt - Achselzucken bei den Kaffeetrinken- den. Auf die Gerichte hatte hier sowieso niemand mehr gehofft.

Die Paragraphenreiter noch weiter beschäftigen will auch der Verein „Kinderhaus Sternipark“: Weil die für die im Neubau nebenan vorgesehene Kindertagesstätte vorgeschriebene öffentliche Auschreibung nicht stattgefunden habe, so der Verein, klagt er jetzt auf Herausgabe des ganzen Grundstücks. Dort will die Hafenrand GmbH sehr bald Sozialwohnungen bauen und auch einen Kindergarten. Der Träger ihrer Wahl: das Deutsche Rote Kreuz. Derweil tobt in der Tante Hermine der hauseigene Nachwuchs bereits in der Krabbel-Etage umeinand.

Sollte der Senat sich allerdings darauf verlassen wollen, bei den HamburgerInnen eine breite „Hau-weg-Front“ vorzufinden, wird dies durch eine kleine taz-Umfrage unter unverdächtig aussehenden SpaziergängerInnen gediegenen Alters widerlegt. „Sieht doch inzwischen ganz manierlich aus“, so eine ältere Frau. „Viel ruhiger geworden“, meint ein Ehepaar. „Hier braucht es ein Konzept“, ein anderes. Den Kern macht ein weiterer Flaneur aus: „Ohne eine emotionsfreie Auseinandersetzung zwischen Politikern und den Leuten geht's nicht.“

Dafür geht jetzt aber das rot-grün verflochtene Pärchen – selbst auf die ist kein Verlaß mehr.