Stimmungswellen...

■ ...wie der Wind bei Stärke zehn / Bremer Karneval in einer Altentagesstätte

„Hella, Du warst wieder wunderbar.“ Ingeborg Wiegmann glüht vor Freude und allealle sollen was abhaben und sich amüsieren, aber vor allem Hella. Hella Keller, das ist die ungekrönte Königin des Bremer Karnevals, und der ganze Saal liegt ihr zu Füßen. Wie jedes Jahr. Der Bremer Karnevalverein „Rot-Weiß“ hat die Osterholzer Altentagesstätte fest im Programm. Eine von über 50 Stationen für die Karnevalisten, von wegen Bremen ist fastnachtsfreie Zone. Im Gegenteil: Die Profis kommen mit der kurzen Saison gar nicht hin. In Bremen und umzu ist am Aschermittwoch noch längst nicht alles vorbei. Hier wird durchgefeiert, so lange die Nachfrage reicht.

Ein echtes Heimspiel: Alle kennen Hella und den singenden Alex und das Funkenmariechen Stefanie und ihre Tanzgruppe, die kommen jedes Jahr, und wie jedes Jahr freut sich die Karnevalistengemeinde wochenlang auf den Termin. Niemand, dem nicht wenigstens eine Luftschlange um den Hals baumelt, die meisten haben komische Hüte und Mützchen auf. Bei den Herren ist das Modell Wikinger schwer angesagt. Allein drei Männerköpfe werden von einem Helm mit Kuhhörnern geziert. Die Tische sind rappelvoll besetzt. „Die Bremen die sind von Natur so'n bißchen steif, so'n bißchen stur“, singen Hella und Alex und freun sich, daß diese Zeile so ganz und gar nicht paßt. Das schunkelt und lacht, singt mit und klatscht, da sind der Ooohs und Aaahs kein Ende, wenn das Funkenmariechen noch'n Spagat auf's Parkett legt, und das kichert, wenn Hellas Büttenrede langsam in Richtung Gürtellinie rutscht, aber weit davor stehenbleibt. „Nee, also sone Witze, die mach ich nicht“, erzählt sie, „nicht wie der Präsident von dem einen Klub aus Bremerhaven. Die Reden gehen immer zu weit und das ist so peinlich. Und dann ist ja auch immer die Kindergarde dabei. Denen möchte man immer die Ohren zuhalten.“ Nein, beim Bremer Karneval geht gesittet die Post ab. Aber wie. Wenn die Kindertanzgruppe „die Fünkchen“ den Fetzer „Let's Twist Again“ auf die Tanzfläche bringt, dann halten sich die Alten nicht die Ohren zu von wegen „Negermusik“, dann brennt im Altersheim die Luft. Ohooo! Und wenn sich der einzige Junge im Balett als Elvis versucht, dann schlagen alle Herzen höher.

Überhaupt: Karneval, das ist die Versöhnung der Generationen. Lauter potentielle Großeltern applaudieren lauter potentiellen Enkeln, dem Kinderprinzenpaar Sebastian I und Cathleen-Ireen I (“Schreiben Sie das bloß richtig, sonst ist die beleidigt!“ Geht klar.), und „unserer Annika“, die sich zum Jungtalent im Büttenreden mausert, und sowieso dem Funkenmariechen Stefanie. Die kennen sie alle schon seit Jahren. Und mittenmang zwischen Alte und Jung, Hella Keller und Alex Ochmann „der singende Schlachtermeister“, beide auch nicht mehr ganz jung, aber mit Schwung für zehn.

30 Jahre macht sie das schon, erzählt Hella Keller. Ihr Mann hat „Rot-Weiß“ gegründet, damals. Und als er gestorben ist, ist Hella in das Karnbevalgeschäft eingestiegen und da ist sie zur Seele des Betriebs geworden. „Das ist ein Fulltimejob“, sagt sie. „Seit einem Jahr bin ich auf Rente, da hab ich noch weniger Zeit.“ Früher, da hat sie noch alle Kostüme genäht, das schafft sie heute nicht mehr, und schon gar nicht, wenn sie dann auch noch auf Reisen geht. Wohin? Na klar, zu den Jecken. Drei Tage war sie dieses Jahr bei der Wiener Faschingsredoute, sonst jedes Jahr Köln – „Die Ehrengarde der Stadt Köln nach Bremen zu holen“, das wär ihr größter Wunsch. „Da bin ich nämlich Ehrenfunkenmariechen.“

„Die Stimmung die schlägt Wellen, wie der Wind bei Stärke zehn“, singt „unser Alex“ in seiner roten Jacke, die Kapitänsmütze schief auf dem Kopf. Und Herr Eggers bedient den Cassettenrecorder, und dann ist auch schon der Schlußeinmarsch, und weil Herr Eggers die richtigen Bänder nicht findet, begleitet eben der Stimmungsmann hinter der Orgel, der nach dem Programm Tanzmusik macht. Der versinkt in den Tiefen seiner Rhythmusmaschine und verschusselt die Tonlage, aber Hella und Alex singen tapfer weiter „Nachher wird's nochmal so schön, das Wiedersehn mit Dir“, und da ist das Programm um, schon. Winken, Händeschütteln, Umarmungen, Träne im Knopfloch und „Hella, Du warst wieder wunderbar.“

J.G./Fotos:Nikolai Wolff