Wie wird man zur Bremerin?

■ Gerichtsverhandlung: War Irmgard Gaertner Bremerin genug, um Senatorin zu werden?

Ein Stuhl blieb am Samstag leer am runden Tisch des Bremer Staatsgerichtshofes: dort hätte die Sozialsenatorin Irmgard Gaertner (SPD) sitzen und peinlichst genau gestehen sollen, wie sie in den drei Monaten vor ihrer Wahl zur Senatorin am 25.3.1992 sich zur Bremerin gemausert hat. So hatte sich das zumindest die CDU vorgestellt.

Die Bremer Landesverfassung nämlich verlangt als Voraussetzung der Wählbarkeit, daß man drei Monate lang seinen Lebensmittelpunkt an der Weser gehabt hat. Den Hauptwohnsitz hatte Gaertner zwar Anfang Dezember 1991 nach Bremen verlegt, doch gelebt hat sie dort nicht die ganze Zeit: Irmgard Gaertner arbeitete noch bis zum endgültigen Umzug in dem Full-Time-Job einer Direktorin des hessischen Landeswohlfahrtverbandes in Kassel. Soviel vorweg: Die endgültige Entscheidung fällt das Gericht am 28. Feburar. Der vorsitzende Richter, Günter Pottschmidt, gab weder mit seiner Miene noch mit seiner Rede einen Hinweis darauf, wie die Entscheidung ausfallen wird.

Drei Stunden lang schleppten die Advokaten von CDU und SPD einige Argumente und zahllose Spitzfindigkeiten vor das Richtergremium. Der Vorsitzende Pottschmidt lauschte mit väterlicher Geduld den beiden Jüngeren, legte den Kopf nur manchmal ein ganz klein wenig schief, wenn ihm einer zu winkeladvokatisch daherkam. Recht gedrechselt brachte der Rechtsvertreter der CDU, Albert von Mutius, seine Zweifel an der Seßhaftigkeit der Irmgard Gaertner zum Ausdruck: „Gleichwohl darf ich mir erlauben, einige wenige Bemerkungen machen zu dürfen“, begann er seine Rede, als er auf die Residenzpflicht hinwies, die das hessische Beamtenrecht von seinen Dienern verlange.

SPD-Anwalt Michael Quaas aus Stuttgart sprach zunächst so leise, daß alle anderen augenblicklich das Stühlerutschen einstellten, und wechselte sodann beständig von ganz leise zu ganz laut, daß es geradezu artistisch war - aber auch hier legte Richter Pottschmidt gelegentlich den Kopf ein wenig schief. Der SPD-Anwalt hatte ein schweres Geschäft: nämlich das hohe Gericht von der Wohnsitzfrage wegzulocken. Die eigentliche Frage sei doch, ob der Staatsgerichtshof überhaupt zur Klärung dieser Frage befugt sei. Schließlich sei das eine melderechtliche Frage, nicht eine staatsrechtliche.

Der SPD-Anwalt Quaas hatte sich jedoch auch für den Fall vorbereitet, daß alle Ablenkungsmanöver nichts nützten: Er brachte den juristischen Begriff der „Heilung“ ins Gespräch. Daß also die Mangelhaftigkeit der Wahl dadurch mittlerweile „geheilt“ sei, daß Gaertner inzwischen viele Male die Dreimonats-Frist erfüllt habe.

„Ich habe doch gewisse Wiederholungen bemerkt“, sagte Richter Pottschmidt endlich. Wollte abernoch Genaueres über den Verbleib der Irmgard Gaertner in den drei Monaten wissen. Laut Anwalt Quaas soll Gaertner von den etwa dreieinhalb Monaten zwischen Anmeldung in Bremen und der Wahl zur Senatorin 54 Tage in Kassel verbracht haben, vier Wochen Resturlaub genommen und die restliche Zeit in Bremen gelebt haben. Sie habe sich aber auch ansonsten per Aktenstudium und mit Telefonaten in die bremischen Besonderheiten eingearbeitet. Schließlich solle der Meldeparagraph genau dies sicherstellen: eine gewisse Ortskenntnis und Verbundenheit.

„Aber wie oft ist sie denn nun tatsächlich nach Bremen gefahren“, hakte der CDU-Anwalt hartnäckig nach, scheiterte aber an den datenschutzrechtlichen Bedenken des SPD-Anwalts. Vorsitzender Pottschmidt bereitete dem Beharken endlich ein Ende, indem er vereinnahmend sagte: „Darüber sind wir uns doch alle einig, daß das Meldegesetz keine moderne Bestimmung ist.“ Auch in der Verfassungsreform sei schließlich an eine Änderung gedacht. Das mochte die Vertreter der Senatorin jedoch nicht mehr aufmuntern, sie verließen das Gericht mit betretenen Mienen, wohingegen der CDU-Anwalt hochzufrieden von dannen eilte.

Christine Holch