■ Stadtmitte: Senator Turners späte Rache
Der frühere Wissenschaftssenator George Turner (CDU) wurde von den StudentInnen im Unistreik 1988/89 derart vorgeführt, daß ihn schließlich seine eigene Partei vor die Tür setzte. Sind die niedrigen studentischen Wahlbeteiligungen an FU (knapp sieben Prozent) und TU (17 Prozent) seine späte Rache? Schließlich hat Turner das Wahlverfahren erheblich verkompliziert. Er führte die Personalisierung des Verhältniswahlrechts ein. Die Wahlunterlagen schwollen an, weil von da ab nicht mehr nur der Listenname, sondern jedeR einzelne KandidatIn genannt sein mußte. Damit schaffte Turner faktisch die Briefwahl ab. Reichte früher bei den Wahlunterlagen die Verschickung eines Standardbriefs, so müßte heute eine ganze Broschüre an die 60.000 FU-StudentInnen verschickt werden. Kosten: 15 Prozent des jährlichen Asta-Haushalts, also nicht machbar. Aber an einer so großen Uni wie der FU, deren „Campus“ sich über mehrere Stadtteile erstreckt, ist alles andere als eine Listenwahl unsinnig. Die Stimmergebnisse der Gewählten unterscheiden sich um durchschnittlich fünf Stimmen, oft weniger – und dafür diese hohen Kosten und dieser Aufwand?
Des christdemokratischen Senators Treppenwitz: Ausgerechnet der CDU-nahe RCDS gehört mit nur noch zwei Sitzen im Studentenparlament zu den Hauptbetroffenen der Turnerschen Wahlrechtsänderung. Aber auch alle anderen parteinahen Listen mußten seitdem empfindliche Stimmeinbußen hinnehmen. AL und Jusos sackten von sieben auf vier Sitze ab. Die Fachschaftsinitiativlisten sind trotz ihrer prozentualen Gewinne über den Niedergang der studentischen Beteiligung alles andere als erfreut.
Die Unileitung tat ein übriges, die Wahlbeteiligung zu drücken. Sie strich die finanzielle Unterstützung der Briefwahl. Außerdem schaffte sie die zentrale Urne vor der Mensa ab. In einer Universität der Nebenfächer und der kilometerlangen Wege ist die Mensa aber der Anlaufpunkt schlechthin.
Dennoch sind die hausgemachten Defizite nicht zu übersehen. Wenigstens eine Postkarte zur Wahlbenachrichtigung ist immer machbar. Wo war der Asta in der letzten Zeit präsent? Wie viele Flugblätter lagen im letzten Semester in der Mensa aus? Es ist verständlich, sich für eine Studierendenvertretung wenig zu interessieren, die kaum Rechte hat – aber deswegen ganz darauf zu verzichten? Die „große, organisierte“ Politik scheint derart desillusionierend zu wirken, daß der Wille immer weiter abnimmt, ihr in einem von StudentInnen selbstorganisierten Asta etwas entgegenzusetzen. Auch daran hängt die geringe Beteiligung von zuletzt noch 6,7 Prozent. Es ist eine Tatsache: Die Kohlsche „Wendejugend“, die neue Generation disziplinierter und angepaßter StudentInnen, geht kaum wählen. Offenbar sieht der/die StudentIn keine Möglichkeiten zur Gegenwehr mehr. Interessenvertretung findet lediglich individuell für sich oder in Bezugsgruppen des Umfelds statt. Das ist Folge und Voraussetzung der Sparpolitik zugleich: Um so leichter lassen sich alle gegeneinander ausspielen. Felix Weiland
Ehemaliger Asta-Referent der AL-Hochschulgruppe
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