Terra bestens cognita

■ Die Antworten hatte er schon parat: Nach Amos Gitais „Im Tal der Wupper“ (Forum) gab es Streit mit dem Regisseur

„Laternchen“ hieß die Kneipe, in der Karl-Heinz Röhn November 1992 getötet worden war, nachdem er behauptet hatte, er sei Halbjude. Er nannte sich Charly, war Metzger, und hatte mit den beiden Skinheads stundenlang gezecht, auch nachdem der Wirt ihn stichelnd als Juden bezeichnet hatte. Eskaliert war die Situation offenbar, nachdem Charly die beiden anderen Nazischweine genannt hatte. Die hatten ihn daraufhin vom Barhocker gestoßen, mit Springerstiefeln getreten, mit Sambucca übergossen und angezündet. Als er nur noch röchelte, hatten sie ihn mit Hilfe des Wirts nach Holland gefahren und bei Venlo aus dem Wagen geworfen.

Amos Gitai, ein in Paris lebender israelischer Regisseur, hatte eine kleine Notiz über den Fall in der Herald Tribune gelesen. Gitai war schon letztes Jahr mit seinem Film „Golem – Der Geist des Exils“ im Forum gewesen und hatte sich als ein Filmemacher ausgewiesen, der versucht, Fluchterfahrungen ins Religiös-Mythische zu verlängern. Abgesehen von hartgesottenen Tarkowski-Anhängern hat das wohl bisher niemanden so recht überzeugen können. Ist es doch das Spezifische und zugleich Problematische an Erfahrungen wie Vertreibung, Verfolgung und Ermordung, daß sie so gnadenlos wenig Sinn haben. Gitais Haltung mochte noch angehen bei seinem Film „Esther“, der das einzige biblische Beispiel für organisierte Rache der Juden an einem Verfolger erzählt. Wenn aber dann Hanna Schygulla einen lehmfarbenen Golem spielt, der durch die Kanalisation kraucht, um die verlorenen Exilanten zu beschützen, wozu aus dem Hintergrund wummernd-elegische Musik ertönt, dann schauert's einen halt. Jetzt also kommt Gitai nach Deutschland und filmt im Präsens, ohne Filmerlaubnis vor einem Gefängnis (?), so daß man klasse O-Töne hat von den doofen Hausmeistern/ Polizisten, die ihn scheuchen wollen. Klasse O-Töne auch, als er dann vor dem „Laternchen“ steht (an der Wand ist „Deutschland den Deutschen“ mit „Nazis raus“ überkritzelt) und Passanten befragt: „Wissen Sie, was hier geschah?“. Dann kommen logischerweise die Nordrhein-Westfälischen Reihenhäuser, der Dialekt, die Kirmes: Mann, sind die wieder schön deutsch. „Husch, husch, husch, Neger in den Busch“, sagt ein Bengel mit Tätowierungen, den Gitai dann auch noch zum krönenden Abschluß die Nationalhymne singen läßt.

Der Oberstaatsanwalt Rosenbaum muß mehrmals den Tathergang erzählen, und dabei kommt natürlich die Sprache zum Vorschein, unter der man bequem ganze Berge von Leichen verschwinden lassen könnte; von „schrecklichen Vorgängen“, „anschließend verbrachten“, „erheblichem Alkoholeinfluß“ ist die Rede, und das ist in der Tat bedrückend. Aber dann kam die Sache mit den Zügen: Wieder und wieder sieht man die Schwebebahn über die Wupper fahren, an einem Bahnhof ist ein Schild angebracht, auf dem ich nur „Theresienstadt“ erkennen konnte — kurz: Der Mord an Röhn wird hier verlängert ins Ewig-Gestrige, und zwar mit Hilfe einer Anleihe bei Resnais/ Lanzmann, die dem Film sowohl Kunstbonus als auch historisches Bleigewicht verleihen soll, und beides will und will nicht einleuchten.

In der Pressekonferenz waren dann einige Zuschauer so frei, immerhin zu fragen, was denn die Züge genau bedeuten sollten. Das war nicht gut, denn der Regisseur geriet zunächst in die Ferne, und dann in Harnisch: „Als Israeli habe ich ein spezielles Verhältnis zu Zügen in Deutschland.“ Und, als jemand insistierte: „Wenn Sie so aggressiv fragen, möchte ich Ihnen gleich eine Kamera ins Gesicht halten.“ Hoho! Was genau hat Gitai wissen wollen? Den Tathergang? Dann hätte er Zeugen aufsuchen müssen. Die Frage beantworten, oder es zumindest versuchen, warum die solange miteinander trinken, bevor jemand erschlagen wird. Den Kontext erhellen? Warum hat er keine Angehörigen des Opfers befragt? Warum hat Röhn sich, nicht nur bei dieser, sondern auch bei anderen Gelegenheiten als Jude ausgegeben?

Wenn man diesen Fragen so nachgegangen wäre, wie Lanzmann es gemacht hätte, nämlich mit gründlichen Recherchen, einem höchst reflektierten Bewußtsein der eigenen Rolle, dann hätte etwas verflucht Interessantes dabei herauskommen können; lauter Zwischenmilieus, in denen sich tradierter Antisemitismus mit den Erfahrungen einer vierzigjährigen Demokratie mischt. Ein kurzer Moment davon leuchtet auf, als Gitai auf der Kirmes eine Gruppe von Jugendlichen trifft, die sich „Faschisten“ nennen und damit offenbar so eine Art deutsch-italienischer Freundschaft meinen, etwas proletarisch-provinzielles, aber nicht mordlüsternes. Gitai aber wollte nur Terra bestens cognita. Mariam Niroumand

Amos Gitai: „Dans la valleé de la Wupper“. Frankreich 1993, 97 Minuten