Gib mir Rock, gib mir Raum

■ Eine Frankfurter Tagung lotet Probenraum, Konzerthalle und Technobunker aus

Als Mitglied einer Band assoziiert man zu dem Titel „Rock/ Raum“ natürlich zuerst die notorischen Raumsorgen, die einen dauernd plagen. Was könnte der Titel noch bedeuten? Mir fiel ein, wie einmal bei einem Konzert von Monster Magnet alle Regler zum Anschlag aufgedreht wurden, bis die Gitarristen ihre Instrumente nur noch durch die entstehenden Feedbackwellen bewegten und mir zum ersten Mal klar wurde, was die alte Rock-Utopie bedeutet – die Grenzen des Körpers und die des ihn einschließenden Raumes verschwimmen lassen.

Aber das Rock/Raum-Problem läßt sich noch unter einigen anderen Aspekten betrachten. Dan Graham, der diese Veranstaltung in der Städel-Kunsthalle zusammen mit Marie-Paule Macdonald initiierte, will in der Beschreibung der Räume, die „Rock“ in unseren Leben einnimmt und zugewiesen bekommen hat, jene von Träumen und Phantasmagorien bestimmte Geschichte aufspüren, aus der sich auch noch unsere durchrationalisierte Konsumgesellschaft nicht befreien kann. Ein Projekt, das an Walter Benjamins Lektüre der Pariser Passagen erinnert. Grahams Ansatz unterscheidet sich vom Kulturpessimismus der Frankfurter Schule darin, daß er in popkulturellen Bewegungen Chancen eines „besseren Lebens“ ausmacht. Beim Symposium war dieser Gedanke allerdings nur vage mit seinen Ausführungen über das Musical „Wild in the Streets“ zu verbinden. Besser bedient ist man in dieser Hinsicht mit dem kürzlich erschienenen Sammelband „Rock my Religion“ (MIT-Press). Daß Graham, der als Konzeptkünstler die Kunstentwicklung der letzten 30 Jahre mitbestimmte, maßgeblichen Einfluß auf KünstlerInnen hatte, die an „Zusammenhängen“ interessiert sind, ist inzwischen Legende.

Sonic Youth zum Beispiel gäbe es ohne Dan Graham nicht, wie deren Stimme, Kim Gordon, sagte. Von ihrem Ehemann Thurston Moore wurde ein Video präsentiert, in dem er anhand von Plattencovern und alten Rockzeitschriften die Punk-Anfänge in New York rekonstruierte. Ihm gelang auch der stärkste Moment der drei Nachmittage: Angesichts eines Fotos, das ein ganz „normal“ aussehendes Publikum zeigt, fragt er: „Wer waren diese Leute, die ins GBGB gingen und sich die Ramones anhörten?“ Dann läßt er eine lange Pause, und man fragt sich natürlich, was aus denen geworden ist, welchen Raum sie „Rock“ in ihrem Leben gegeben haben? Moore geht in seinem schönen Film sehr einfühlsam mit dem mythischen Glauben um, daß aus Leuten, die zu einem bestimmten Moment an einem bestimmten Ort sind, andere – und womöglich bessere – Menschen werden. Ob der in diesem Mythos sich zeigende Sixties-Essentialismus im Punk wirklich eine neue Form gefunden hat, oder ob gerade diese Ansicht Punk zerstört hat, weil er durch sie von den Hippies „befriedet“ werden konnte – diese Frage wurde von Mayo Thompson aufgegriffen. Er sieht im Punk jene aktivistische Energie der frühen Psychodelic-Bewegung wiederaufleben, die auf die Verbindung von Kunst und Leben per „Bewußtseinserweiterung“ zielte. Thompson ist zuwenig 60er-Enthusiast, um nicht die veränderten Bedingungen gerade innerhalb des Musikbusiness zu sehen, die Punk in seiner Entwicklung bestimmten. Mit der von ihm aufgeworfenen Distributionsfrage war man dann bei dem Raum angelangt, den eine neue Musik von gesellschaftlicher Bedeutung innerhalb des Mainstreams einnehmen kann. Aktuelles Beispiel ist für Thompson der Versuch, Techno in den USA durchzusetzen.

Mit Techno verändert sich die Beziehung von Rock und Raum grundlegend. Zwei der wichtigen Aspekte sind die Auflösung der Band, die einerseits als Konsensraum fungiert andererseits den Raum bildet, in dem sich „Persönlichkeiten“ profilieren können; und die Loslösung von bestimmten Orten, die einerseits subkulturelle Räume bilden andererseits aber durch ihre Fixiertheit im öffentlichen Raum kontrollierbar sind. Letzteres wurde in Ralf-Rainer Rygullas Vortrag über das „Frankfurter Modell“ der Zusammenarbeit zwischen städtischen Behörden und Clubbetreibern offensichtlich. Die im Zuge von Techno sich entwickelnde Subkultur basiert auf ortlosen Strukturen, die das Finden eigener Räume ermöglichen. Martin Wagner, Frankfurter Techno-Party-Veteran, stellte in einem Video einige Möglichkeiten vor.

Im Nachdenken und Sprechen über Rock machte dieses Symposium, das sehr stark von schon etwas bejahrten Männern geprägt wurde, zudem ein Generationsproblem deutlich: Muß man eigentlich, wenn man 1994 über Rock/Raum diskutiert, ständig den Kanon von Elvis bis zu Clash wiederkäuen? Und muß man eigentlich immer wieder an den Gitarren hängenbleiben, um die sich solche Diskussionen seit 40 Jahren drehen? Martin Pesch