Für Spekulationen ungeeignet

■ Die mißliche Debatte um den Fortbestand des Literarischen Colloquiums / Alle vier Literaturhäuser Berlins müssen aufpassen und zusammenhalten

Eine Welle der Empörung erfaßte kürzlich das Berliner Feuilleton: das Literarische Colloquium Berlin, kurz LCB, steht auf einer geheimen Streichliste des Finanzsenators (vgl.taz-Kurzmeldung vom 10.2.94). Dietger Pforte, Referatsleiter für Literatur beim Berliner Senat, hatte als erster in einem Interview, das die Neue Zeit vorletzten Samstag abdruckte, die Öffentlichkeit gegen diesen aberwitzigen Plan mobilisiert und zur Kenntnis gebracht, daß der gesamte Etat für den Literaturbereich 4,8 bis 5,2 Millionen Mark beträgt und damit gerade mal 0,5 Prozent des Gesamtkulturetats ausmacht. 3,2 Millionen Mark gehen davon an die vier Literaturhäuser unserer Stadt, den Rest teilen sich die direkte Autorenförderung und kleinere Projekte.

Warum also überhaupt die spärlich ausgestatteten Bereiche der Literatur- und Autorenförderung, wie es so schön heißt, „zur Disposition stellen“? Und warum ausgerechnet die älteste und wichtigste literarische Einrichtung im deutschsprachigen Raum? Zumal diese heilige Kuh des Literaturbetriebs mit einem Jahresetat von knapp 900.000 DM zum Verzehr eher ungeeignet ist.

Was im Bericht des engagierten Literaturreferenten nicht stand, das stand diesmal im Tagesspiegel vom 8.2. Da ging es um die Villa und das Filetgrundstück am Wannsee, die möglicherweise beide den Appetit des Finanzsenators angeregt haben. Dabei hatte er offenbar aber ganz vergessen, auf welchen massiven Widerstand Wilhelm Kewenig vor zwölf Jahren traf, als er die fette Immobilie am Wannsee verhökern und von diesem Geld das innerstädtische „Literaturhaus“ bauen wollte. Der Protest einer großen Zahl internationaler Schriftsteller konnte das damals verhindern und Herr Pieroth darf sich diesmal auf eine noch stärkere Lobby gefaßt machen. Hinzu kommt, daß Kultursenator Roloff-Momin anläßlich des 30jährigen Bestehens des Literarischen Colloquiums im Oktoker 1993 dessen „vorbildliche Arbeit“ gelobt und darüber hinaus das feierliche Versprechen gegeben hat, seine „Arbeit weiterhin nach Kräften zu fördern“. Auch nachdem sein Pressesprecher Klemke die von den Finanzstrategen geplante Liquidierung des Hauses nicht dementieren wollte, steht der Kultursenator erklärtermaßen weiterhin zu seinem Wort und damit – seinen Kräften gemäß – gegen Pieroth.

Und er garantiert nicht nur den Fortbestand der Institution, sondern auch den des historischen Ortes, also der schönen Villa Am Sandwerder 5, mit der die Arbeit des Colloquiums unlösbar verbunden ist. Falls es die Immobilie ist und nicht die Institution, die hier „zur Disposition steht“, dann sind die Chancen für das LCB so gut wie für die Komische Oper, die alljährlich von der Streichliste wieder gestrichen wird. Denn als Spekulationsobjekt dürfte sich nach Auskunft des Literaturreferenten Pforte das denkmalgeschützte Gebäude am Wannsee letztlich nicht eignen. Das auf 60 Millionen geschätzte Anwesen war schon zu Kewenigs Zeiten nur für eine Neubebauung attraktiv und ein Hotelbetrieb etwa wäre zu personalaufwendig.

Auch wenn das LCB, so Roloff- Momin will, bleiben wird, wer, so sollte man besser nicht allzu laut fragen, muß statt dessen verschwinden? Da müssen die vier Literaturhäuser in Berlin auf ihrem je eigenständigen Profil genauso beharren, wie sie sich nicht gegeneinander ausspielen lassen dürfen. Und vergessen wir bei der Diskussion um das LCB eins nicht: auch die 30 Jahre alte Institution der sozialen Künstlerförderung steht insgesamt auf der Liste! Matthias Schad