Entwicklungshilfe nur für Rüstungskunden

Gegen den Willen ihres Entwicklungsministers setzte die Londoner Regierung durch, daß ein umweltschädlicher Staudamm in Malaysia mit britischen Geldern gebaut wird. Dann kaufte Malaysia Waffen für 1,3 Milliarden Pfund  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Dritte-Welt-Länder können mit einer kräftigen Erhöhung der britischen Entwicklungshilfe rechnen, wenn sie vorher Rüstungsgüter in Großbritannien kaufen. Ans Licht ist diese Verknüpfung von Entwicklungshilfe mit Waffengeschäften nur deshalb gekommen, weil innerhalb der britischen Regierung ein heftiger Streit um den Pergau-Staudamm im Norden Malaysias entbrannt ist.

Der Hintergrund: Die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher hatte 1988 auf einer Asienreise 234 Millionen Pfund für den Staudamm zugesagt, der seit gut zwei Jahren von britischen Firmen gebaut wird. Im Gegenzug bestellte Malaysia britische Waffen für 1,3 Milliarden Pfund. Dabei, so behaupten malaysische Abgeordnete, sind aus London hohe Summen an Schmiergeldern gezahlt worden. Im Zusammenhang mit dem Deal zahlte die Regierung in London British Airways außerdem eine Summe von 2,1 Millionen Pfund, damit diese der malaysischen Fluglinie Landerechte in Heathrow einräumte.

Aufgeflogen ist die Sache erst, als Tim Lankaster vom Ministerium für Entwicklungshilfe vor dem Finanzausschuß des Unterhauses jetzt aussagte, daß sein Ministerium das Staudammprojekt abgelehnt hatte, weil es eine Verschwendung von Steuergeldern sei. Pergau sei dann jedoch von Premierminister John Major persönlich durchgesetzt worden.

Wer profitiert von dem Deal? Vor allem Thatchers sogenannter „goldener Kreis“, zu dem Geschäftsleute und Politiker gehören, die ihr noch immer treu ergeben sind – zum Beispiel Sir Charles Powell: Er war bis 1990 Thatchers außenpolitischer Berater. Danach wurde er Direktor von „Trafalgar House“, dessen Tochtergesellschaft „Cementation“ am Staudamm mitbaut.

Diese Firma hat einen prominenten Berater: Mark Thatcher, den Sohn der Ex-Premierministerin. Malaysische Abgeordnete behaupten, daß Mark Thatcher durch Verbindungen mit der „British Aerospace“ seine Finger auch in Waffengeschäften habe, was er jedoch abstreitet. Er verweigert jede Auskunft über die Quelle seines immensen Reichtums. Er besitzt unter anderem Häuser in London, Houston und Dallas.

Und er ist mit Tim Bell befreundet, Thatchers PR-Guru, der gleichzeitig für den malaysischen Premierminister Mahathir Mohamed und den Geschäftsmann Tan Sri Arumugam arbeitet. Da fügte es sich ganz wunderbar, daß Arumugam wiederum Mehrheitsaktionär von GEC Malaysia ist, die die Turbinen für den Staudamm baut. Deren britische Muttergesellschaft – der Vorsitzende ist James Prior, der früher im Thatcher-Kabinett saß – hat sich eine Scheibe von dem Rüstungsauftrag gesichert.

Der Damm ist das bei weitem teuerste Entwicklungshilfeprojekt, das jemals von Großbritannien finanziert wurde. Und nicht nur das: Britische Regierungsberater, die Weltbank und Umweltschutzorganisationen prophezeien, daß sich Pergau nicht nur als ökonomische, sondern auch als ökologische Katastrophe erweisen wird. Der Damm wird umgerechnet etwa 270 Millionen Mark mehr kosten, als die vorgeschlagenen Alternativen. Die Weltbank hatte 1987 in ihrem Bericht empfohlen, daß sich Malaysia bis zur Jahrtausendwende ausschließlich auf Gaskraftwerke konzentrieren solle.

Weit schlimmer sind die Folgen für die Umwelt. Der Damm liegt im Norden Malaysias an der Grenze zu Thailand – mitten im fast unberührten Regenwald. Umweltexperten sagten bereits 1988 voraus, daß das Bauprojekt nicht nur dem Pflanzenwelt schweren Schaden zufügen, sondern auch westliche Krankheiten unter der Bevölkerung der Urwaldstämme verbreiten werde. Darauf entgegnete das Amt für Entwicklungshilfe, man sei sicher, daß die malaysische Regierung die Bedenken ernst nehme. Die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth, die eigene Untersuchungen angestellt hat, gab im vergangenen Jahr bekannt, daß die für die Baufahrzeuge angelegten Straßen bereits von Holzunternehmen benutzt werden, um bisher unzugängliche Teile des Regenwaldes abzuholzen.

Zu dem britisch- malaysischen Deal gehört offenbar auch ein geheimer Armeestützpunkt bei Mersing an der Ostküste Malaysias. Dort sind ein U-Boot-Hafen, eine Landebahn, Spezialhallen für Hercules-Transportflugzeuge sowie Unterkünfte für drei Bataillone vorgesehen. Im Rahmen des Fünf- Mächte-Verteidigungsabkommens zwischen Großbritannien, Malaysia, Australien, Neuseeland und Singapur dürfen britische Sondertruppen in Mersing stationiert werden. Außerdem spielt der Stützpunkt mit Sicherheit eine strategische Schlüsselrolle, wenn Großbritannien 1997 die Kronkolonie Hongkong an China zurückgeben muß.

Weder die Londoner Regierung noch die britische Baufirma John Laing International, die an der Konstruktion des Stützpunktes beteiligt ist, machen Angaben darüber, wie hoch die Kosten für diese militärische Basis sind und wer sie bezahlt. Ein ehemaliger leitender Angestellter der Midland Bank, über die das malaysische Waffengeschäft abgewickelt wird, sagte jedoch, daß Mersing schon 1988 Teil des Verhandlungspaketes war. „Der Stützpunkt soll von den Malaysiern geleitet werden, aber unsere Truppen aufnehmen, wenn Hongkong weg ist“, sagte er. Ein Sprecher der malaysischen Botschaft in London bestätigte das.

Die verschiedenen Fäden der Geschäfte zwischen London und Kuala Lumpur laufen bei Stephan Kock zusammen, einem ehemaligen Soldaten und Rüstungsexperten, der eng mit Margaret Thatcher und Sohn Mark befreundet ist. Kock war als Berater für die Midland Bank tätig und ist 1988 mehrmals mit SAS-Offizieren und Beamten des Verteidigungsministeriums nach Malaysia gereist.

Der Milliardendeal erklärt vermutlich auch, warum der malaysische Bankier Lorrain Osman von der Bank Bumiputra sieben Jahre in London unter Betrugsverdacht in Untersuchungshaft saß. Abgeordnete der Opposition in Kuala Lumpur behaupten, daß die Beweise gegen Osman gefälscht waren.

Er wurde im Gefängnis von Brixton auf Wunsch der malaysischen Regierung festgehalten, weil er beweisen konnte, daß malaysische Politiker in Bankbetrug und Korruption verwickelt waren. Als weitere Gegenleistung für den Rüstungsauftrag, so behauptet die malaysische Opposition, haben die beiden ehemaligen Tory-Staatssekretäre Francis Maude und Lord Caithness 1990 und 1992 die Osman-Papiere und die 150 Seiten umfassende Korrespondenz zwischen London und Kuala Lumpur über den Fall „im öffentlichen Interesse“ zur Geheimsache erklärt.

Die Major-Regierung versucht mittlerweile, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem sie George Younger zum Sündenbock macht. Er war Verteidigungsminister unter Thatcher und hat im März 1988 das Protokoll unterzeichnet, in dem die Entwicklungshilfe für Malaysia mit dem Verkauf von Waffen verknüpft wurde. Drei Monate später schrieb Younger allerdings an das malaysische Finanzministerium und teilte mit, daß diese Verknüpfung illegal sei – zumindest in schriftlicher Form. Statt dessen traf man eine entsprechende mündliche Vereinbarung, wie Younger zugab.

Freilich ist Malaysia kein Einzelfall. Das „World Development Movement“, eine britische Wohlfahrtsorganisation, legte Zahlen vor, aus denen hervorgeht, daß die Entwicklungshilfe für Thailand, Jordanien, Nigeria, Ekuador und Oman sprunghaft anstieg, nachdem diese Länder größere Mengen von Waffen in Großbritannien bestellt hatten. Die Finanzhilfe für Thailand, das auf Platz sechs bei den Rüstungsaufträgen für britische Firmen liegt, stieg seit 1980 um 625 Prozent. Und Indonesien bestellte im vergangenen Juni Übungskampfflugzeuge des Typs „Hawk“ im Wert von 500 Millionen Pfund – zwei Monate, nachdem der britische Außenminister Douglas Hurd in Jakarta einen nahezu zinsfreien Kredit von 65 Millionen Pfund für ein Kraftwerk zugesagt hatte. Es versteht sich von selbst, daß dieses Kraftwerk von einer britischen Firma gebaut wird.

Die britische Regierung hat inzwischen den außenpolitischen Ausschuß des Unterhauses mit einer Untersuchung beauftragt, die im März beginnen wird. Auch wenn der Ausschuß nicht dieselbe Macht wie bei einer öffentlichen Untersuchung hat, könnte „Floodgate“ – wie der Skandal getauft wurde – für Major peinlicher werden, als es die Scott-Untersuchung schon ist, die sich zur Zeit mit den illegalen britischen Waffenlieferungen in den Irak beschäftigt. Auch da scheint es eine Verbindung mit dem Malaysia-Geschäft zu geben: Stephan Kock war nämlich auch Direktor von Astra, deren belgische Tochtergesellschaft PRB den Antrieb des Supergeschützes geliefert hatte, das von britischen Firmen in den Irak geschmuggelt worden war.