■ Wolfgang Ullmann zur Direktwahl des Bundespräsidenten
: „Weimar kann uns nicht schrecken!“

taz: Herr Ullmann, Ihre Bundestagsgruppe (Bündnis 90/Die Grünen) will die Direktwahl des Bundespräsidenten durchsetzen. Warum?

Wolfgang Ullmann: Wir wollen mit unserem Vorschlag die Demokratie intensivieren und erweitern durch Formen der direkten Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung. Das war der eigentliche Anstoß. Eine Rolle gespielt hat aber auch unsere Einstellung zu dem nicht gerade erfreulichen Schauspiel, das uns mit der jetzigen Kandidatenkür geboten worden ist.

Sie wollen also als Abgeordneter bewußt auf ein Stück Macht verzichten, nämlich auf die Möglichkeit, das Staatsoberhaupt mit zu wählen. Machen das die anderen Parlamentarier mit?

Ich denke, schon. Wir haben ja erstaunlicherweise von der FDP Zustimmung zu diesen Überlegungen signalisiert bekommen. Bei den anderen Parteien gibt es in der Tat Widerstände, aber ich glaube nicht aus Furcht um die eigene Macht, sondern aus ganz grundsätzlichen Erwägungen. Das eine ist das historische Argument, sind die schlechten Erfahrungen mit diesem Verfahren in der Weimarer Republik. Das zweite Argument halte ich für triftiger: Dem Verfahren hafte eine gewisse Systemfremdheit an, weil es nicht recht einleuchte, einerseits die Autorität des Bundespräsidenten durch Direktwahl zu stärken, andererseits an seinen Funktionen und Vollmachten gar nichts zu ändern.

Macht Ihnen dieses Konstruktionsproblem keine Sorgen?

Nein. Wir finden es gut, einen Bundespräsidenten zu haben, der eine starke Autorität besitzt, aber nicht eingebunden ist in die Mechanismen der exekutiven Machtausübung.

Eine Direktwahl müßte doch notwendigerweise polarisieren – in eine Entscheidung für oder gegen den Amtsinhaber. Dann könnte er nicht mehr ein Präsident für alle sein.

Dieses Argument zieht nicht. Das könnte man ja bei den Resultaten jeder Wahl sagen.

Aber die Gewählten haben dann nicht den Anspruch, das ganze Volk zu repräsentieren.

Doch. Die Regierung handelt im Namen des ganzen Volkes.

Die Regierung wird von der Opposition kontrolliert, die viele gewählt haben. Für den Präsidenten aber gibt es kein Korrektiv.

Ich finde, das sind keine starken Argumente. Das Problem besteht doch schon. Auch jetzt müssen sich die Bürger mit demjenigen abfinden, der siegt. Ich darf noch einmal an die vergangenen Monate erinnern. Sie zeigen, welche Schattenseiten es hat, wenn die Parteien die Kandidaten nominieren und faktisch die Präsidentenwahl bestimmen.

Der Parlamentarische Rat hat sehr bewußt auf eine Direktwahl des Bundespräsidenten verzichtet. Die Erfahrungen von Weimar schrecken Sie nicht?

Sie können uns nicht schrecken, weil unser Änderungsantrag einen kardinalen Unterschied zur Weimarer Verfassung enthält. Wir sind keinesfalls gewillt, dem direkt gewählten Bundespräsidenten die Vollmacht zu erteilen, das Parlament aufzulösen. Das ist der eigentliche Mangel der Weimarer Verfassung gewesen, der beigetragen hat zur Zerstörung dieser Demokratie auf legalem Wege.

Den Einfluß der Parteien wollen Sie zurückdrängen, aber die Bundesversammlung nicht abschaffen. Sie soll weiterhin die Kandidaten auswählen. Die Parteien bestimmen also nicht den Ausgang der Auseinandersetzung in der Arena, halten aber den Eingang besetzt und entscheiden, wer überhaupt hinein darf. Warum dann nicht gleich der Verzicht auf dieses Gremium?

Diesen Eingriff in unser Verfassungssystem wollen wir nicht. In der Bundesversammlung sitzen die Parteien keineswegs allein, denn das Gremium als Ganzes wählt. Wir haben ausdrücklich ein sehr niedriges Quorum von fünf Prozent festgesetzt, so daß in der Regel mehrere Kandidaten vorgeschlagen werden müssen. Ich denke, damit ist der Einfluß der Parteien auf das ihnen zukommende Maß reduziert.

Aber die Fraktionen bestimmen doch auch über die Zusammensetzung der zweiten Hälfte der Bundesversammlung. Insofern ist das ein stark parteigebundenes Gremium.

Das ist nun einmal mit unserem Parteiendemokratiesystem verbunden. Wir wollen das nicht abschaffen. Aber es sollte wieder zu einem wirklich funktionierenden System werden. Dazu gibt es keinen anderen Weg, als die Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung zu stärken. Da ist die Direktwahl des Bundespräsidenten ein Weg.

Viele Deutsche wünschen sich einen starken Mann. Würde eine Direktwahl nicht die ideale Plattform für Populisten bieten?

Zumindest nicht in dem Maße, daß man davor Angst haben müßte. Die Bundesversammlung ist da ein Korrektiv. Das sicherste Mittel gegen den Populismus ist meines Erachtens die Demokratie und die Durchsichtigkeit der Herrschaftssphäre, so daß diejenigen, die der Bevölkerung nach dem Munde reden, sehr schnell auf das Maß zurückfallen müssen, das ihnen in Wirklichkeit zukommt.

Populismus kann man dem Kandidaten, den Bündnis 90/Grüne unterstützen, nämlich Jens Reich, wahrhaftig nicht vorwerfen. Nach Umfragen bekäme er bei einer Direktwahl keine fünf Prozent. Der Ihrer Meinung nach beste Kandidat weit abgeschlagen – ist das ein Argument für die Direktwahl?

Das muß man in Kauf nehmen. Das ist bei Wahlen eben so. Das hängt auch damit zusammen, daß die Kandidatur von Jens Reich nicht sehr glücklich eingeleitet worden ist. Sie war in hohem Maße aus der Intellektuellensphäre geboren. Das haftet dieser Kandidatur leider immer noch an.

Hat sich das geändert?

Die anfängliche Passivität ist meiner Meinung nach doch überwunden worden. Reich hat trotz der ungünstigen Stimmenverhältnisse deutlich an öffentlichem Profil gewonnen.

Ihr Vorschlag hat vor allem symbolische Qualität. Warum soll Bürgerbeteiligung gerade auf einem Feld durchgesetzt werden, wo reale politische Macht kaum zu gewinnen ist? Sind nicht Vorschläge für eine Wahlreform wie das Häufeln von Stimmen auf einen Kandidaten (Kumulieren) oder das Zusammenstellen von Kandidaten aus verschiedenen Vorschlagslisten auf einem Stimmzettel (Panaschieren) sinnvoller?

Man kann doch beides tun. Wir sind sehr dafür, daß der Einfluß der Wähler durch Kumulieren und Panaschieren verstärkt wird. Aber das muß man erst einmal durchsetzen – auch in den eigenen politischen Gruppierungen. Wir haben das ja auch eingehend in der Verfassungskommission diskutiert. Leider ist dieser ganze Teil – Parlaments- und Parteienreform – völlig aus der Tagesordnung rausgefallen. Da wäre sehr viel noch zu machen. Ich denke, man muß beides verfolgen. Interview: Hans Monath