Horrorszenario in Nordkorea

Nordkorea betreibt mit seinem Atomprogramm ein gefährliches Poker  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Abgesehen von der allabendlich ausgestrahlten TV-Serie M.A.S.H. gibt es wenig, was die AmerikanerInnen noch an den Koreakrieg oder an den Namen Kim Il Sung erinnert. Was sich ändern dürfte, denn das Regime in Pjöngjang hat sich zum außenpolitischen Problemfall allerhöchster Priorität entwickelt – zumindest nach Ansicht von James Woolsey, Chef der CIA. Deren Analysen waren in den letzten Jahrzehnten von höchst unterschiedlicher Treffsicherheit, doch im Fall Nordkorea droht der Clinton-Administration nun tatsächlich ein Szenario, das sie eigentlich um jeden Preis zu vermeiden trachtete. Ein kleines, wirtschaftlich faktisch bankrottes, kommunistisches Land hat sich auf ein gefährliches Pokerspiel mit den eigenen Atomwaffen eingelassen. Die andere Seite, allen voran die USA, die Vereinten Nationen und die „Internationale Atomenergiebehörde“ (IAEA), gibt sich ratlos, weil der Gegenspieler völlig unberechenbar erscheint.

Das Bluffen und Dealen begann im letzten Frühjahr, als die IAEA Alarm schlug. Ihre Inspektoren hatten in Nordkorea Beweise für eine rege Produktion von Plutonium gefunden – in diesem Fall ein untrügliches Indiz für ein Atomwaffenprogramm. Das Regime in Pjöngjang, offenbar verblüfft über die detektivischen Fähigkeiten und technologischen Möglichkeiten der Inspektionsteams, verweigerte kurz darauf weitere Inspektionen und erschreckte nicht nur die IAEA, sondern auch die Clinton-Administration mit der Drohung, den Atomwaffensperrvertrag aufzukündigen. Um das zu verhindern, erklärten sich die USA erstmals seit Ende des Koreakriegs zu direkten Gesprächen mit nordkoreanischen Regierungsvertretern bereit.

Doch das ist bislang auch der einzige Erfolg, den die USA verbuchen können. Nordkorea weigert sich nach wie vor, umfassende Inspektionen der IAEA zuzulassen, die definitiven Aufschluß über jene Frage geben könnten, die seit Monaten die internationale Diskussion beherrscht: Hat Nordkorea nun „die Bombe“ oder nicht? Ja, sagt der amerikanische Geheimdienst CIA. Möglich, aber nicht bewiesen, sagen das US-Außenministerium im Einklang mit der südkoreanischen Regierung.

Weitgehend einig ist man sich nur bei der Motivforschung: Nordkoreas Katz-und-Maus-Spiel mit der IAEA interpretieren Administration und US-Kongreß als Pokerspiel um wirtschaftliche und politische Überlebenshilfe. Als Gegenleistung für die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags und die Zulassung der IAEA-Kontrollen will das wirtschaftlich bankrotte Land ökonomischen Beistand aus westlichen Nationen, allen voran den USA, sowie deren diplomatische Anerkennung.

Die Clinton-Administration ist diesem Ansinnen keineswegs abgeneigt, steckt aber in einem Dilemma. Erstens ist es erklärte außenpolitische Priorität der Clinton-Administration, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Zweitens meint man in Washington, nach dem höchst inkonsequenten Auftreten der USA in Somalia, Haiti und Bosnien ein Exempel statuieren und „Führungskraft“ beweisen zu müssen. Und drittens ist unbestritten, daß das nordkoreanische Militär in der letzten Zeit zusätzliche Artillerie und Raketenabschußrampen in unmittelbarer Nähe der demilitarisierten Zone stationiert hat – eine Drohgebärde, die es vor allem nach Ansicht der US-Militärs zu kontern gilt.

Doch diese harte Linie stößt auf Widerstand im In- und Ausland. Da ist zum einen das Bestreben der südkoreanischen Regierung, das Regime in Pjöngjang unter keinen Umständen durch internationale Sanktionen weiter zu isolieren und damit möglicherweise zu irrwitzigen militärischen Aktionen zu treiben. Und da ist zum anderen die Präsenz von 36.000 US-amerikanischen Soldaten in Südkorea. Ein militärischer Konflikt zwischen Nord- und Südkorea würde automatisch Krieg auch für die USA bedeuten – mit einer möglichen nuklearen Katastrophe auf der koreanischen Halbinsel.

Folglich gleicht die Politik der USA bislang einem Zickzackkurs zwischen Zuckerbrot und Peitsche. Einerseits droht die Clinton-Administration den Machthabern in Pjöngjang mit einem UN-Wirtschaftsembargo – und der Präsident selbst prophezeite Nordkorea die Zerstörung des Landes, sollte es einen Angriff auf den Süden wagen. Andererseits will Washington die gemeinsamen Manöver mit der südkoreanischen Armee aufgeben – seit jeher ein Dorn im Auge des nordkoreanischen Regimes. Und Anfang Januar signalisierte man im US-Außenministerium gar, daß man sich mit einem höchst faulen Kompromißangebot Pjöngjangs zufriedengeben würde: Demnach hätte die IAEA nur die offiziellen, nicht aber die 1992 entdeckten „inoffiziellen“ Nuklearanlagen inspizieren dürfen.

Dieses „Angebot“ hat das Regime Kim Il Sungs inzwischen wieder zurückgezogen. Entsprechend ist das Gesprächsklima wieder vereist, und der zeitliche Spielraum für Verhandlungsangebote droht immer enger und zudem von militärischen Drohgebärden überschattet zu werden. Zwar hat man in Washington bislang vermieden, Nordkorea ein Ultimatum zu stellen. Doch sollte das Land nicht bis zum 21. Februar der IAEA wieder den Status quo ante einräumen – also Zugang zu jenen Nuklearanlagen und Testmöglichkeiten, die die Inspektoren bis 1992 hatten –, dann will die IAEA darüber entscheiden, ob sie den „Fall Nordkorea“ an den UNO-Sicherheitsrat übergibt.

Die Clinton-Administration müßte dann, um ihr Gesicht nicht zu verlieren, ihre Drohung wahrmachen und Wirtschaftssanktionen beantragen. Eine Maßnahme, die mit einer peinlichen Niederlage enden könnte, wenn China, unter anderem Nordkoreas wichtigster Öllieferant, ein Veto einlegt. Gleichzeitig will die Clinton-Administration endgültig die Lieferung von „Patriot“-Luftabwehrraketen an Südkorea absegnen. Dieser Schritt ist nach Angaben des Pentagon seit längerem geplant, doch vor dem aktuellen Hintergrund muß er wie eine militärische Drohgebärde wirken, die den USA am Ende leid tun könnte.