Mit Willys Sex-Stories in den Wahlkampf

■ Noch 'ne Enthüllung: Was Willy Brandt so alles trieb

Berlin (taz) – Horst Herold, zu Zeiten der SPD/FDP-Koalition Chef des Bundeskriminalamts, Computerfreak und Liebhaber von Campanellas alles und jeden kontrollierenden „Sonnenstaat“, hatte auch seinen kleinen, schmutzigen Anteil an Brandts Rücktritt, Mai 1974. Die Zeitschrift Focus veröffentlicht in ihrer heutigen Ausgabe einen umfänglichen Aktenvermerk, den der BKA-Chef nach Vernehmung von Staatsschutzbeamten aus Brandts Troß anfertigte. Willys Sexgeschichten folgen Willys Privatnotizen über Herbert Wehner. Nicht Rudolf Scharping wird durch's Dorf geritten sondern eine Leiche.

Zurück zu Horst Herold: Ein Regierungskriminalrat gab 1974 zu Protokoll, „es sei ein offenes Geheimnis im Begleitkommando wie auch unter den begleitenden Mitarbeitern des SPD-Vorstandes, daß Guillaume dem Kanzler Frauen zugeführt habe.“ So auch während einer Sonderzugreise am 8. und 9. April 1974, wo Guillaume „in zwei Nächten auch eine Schwedin in das Kanzlerabteil geführt hat, die ihm (dem Kriminalrat) wegen ihres Ungepflegtseins aufgefallen wäre“. Aber nicht das Schmuddelkind erregte den Polizisten, sondern das Datum des nächtlichen Besuchs. Denn im April wußte Brandt bereits seit mehreren Wochen um den Spionageverdacht gegen Guillaume. In einem Brief an seinen Dienstherrn, den damaligen Innenminister Genscher, zeigte sich Herold besorgt, daß des Kanzlers Amouren von der Gegenseite zu Zwecken der Erpressung eingesetzt werden könnten.

„Unterstellt werden muß daher, daß er (Guillaume) Wahrnehmungen des beschriebenen Inhalts an seine geheimdienstlichen Auftraggeber – möglicherweise mit lauschoperativer Dokumentation – weitergeleitet hat.“ Auch Genscher zeigte sich besorgt, daß das dokumentierte Ächzen und Stöhnen Willys in den Händen der Stasi zu einer Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik werden könnte. Als auch die Spitzen von BND und Verfassungsschutz, von Herbert Wehner ins Spiel gebracht, sich dieser Lagebeurteilung anschlossen, wäre Brandt nur noch der Rücktritt geblieben.

Der Kanzler – so Focus – stürzte nicht aus irgendwelchen außen- oder innenpolitischen Gründen, sondern ausschließlich wegen seiner erotischen Vergnügungssucht. Dankenswerterweise stellt Focus dem Leser auch noch das nötige Hintergrundwissen zum Verständnis des Unfaßbaren zur Verfügung. Willy litt unter „Compulsive sexual behavior“. Ob es sich hierbei um eine Krankheit handelt oder mit gutem Willen noch als Normalverhalten charakterisierbar, werde, so das Münchner Hochglanzblatt, „seit Jahren unter Sexualwissenschaftlern kontrovers diskutiert“.

Die Redaktion von Focus, selbstverständlich nur vom Wunsch nach Aufklärung und historischer Entmystifizierung beseelt, hat die Namen der Damen, die sich angeblich oder wirklich Brandts Gunst erfreuten, im Text geändert. Erfreulicherweise haben sich aber in den zwanzig Jahren seit der Verfertigung von Herolds Aktenvermerk einige der „Betroffenen“ zur Qualität der damaligen „Ermittlungsarbeit“ geäußert. Wie überhaupt alles, was über das Zustandekommen dieses schlampig recherchierten, bösartigen und hysterischen Sex-Dossiers zu bemerken wäre, längst gesagt worden ist. Aber Neuigkeiten zu verbreiten ist ohnehin nicht die Stärke des Münchner Nachrichtenmagazins. Christian Semler