Die Ruhe vor dem nächsten Sturm

■ Granatenfreies Wochenende für Sarajevo, doch in Bihać greifen die Serben weiter an

Genf (taz) – Während die nordwestbosnische Muslim-Enklave Bihać das ganze Wochenende über unter schweren Artillerie- und Panzerangriffen der bosnischen Serben lag, erlebte Sarajevo am Wochenende die ruhigsten Tage seit dem Beginn des Krieges am 6. April 1992. Über 72 Stunden lang fiel in der bosnischen Hauptstadt kaum ein Schuß. Wegen neuer serbischer Vorbedingungen kam jedoch schon am Samstag der tags zuvor begonnene Abzug schwerer Waffen beziehungsweise ihre Unterstellung unter Unprofor-Aufsicht zum Stillstand.

Bevor die serbischen Belagerungstruppen weitere Waffen abzögen, müßten die Infanteriesoldaten der bosnischen Regierungsarmee, die die Stadt verteidigen, vollständig in ihre Kasernen zurückkehren. Mit dieser Forderung verließ Serbenführer Karadžić am Samstag abend die zuvor ergebnislos abgebrochene jüngste Runde der Bosnienverhandlungen. Erst nach Ablauf der Fristsetzung der Nato für den Abzug aller schwerer Waffen aus Sarajevo sollen die Verhandlungen Ende Februar oder Anfang März fortgesetzt werden. Die beiden Vermittler von Europäischer Union und UNO, Owen und Stoltenberg, hoffen darauf, daß bis dahin die in den letzten Tagen angekündigte gemeinsame diplomatische Initiative der USA und Rußlands Wirkung auf die bosnischen Kriegsparteien zeigen wird.

Auf einer Pressekonferenz erklärte Stoltenberg, in keiner der seit Monaten strittigen territorialen fünfzehn Detailfragen einer Dreiteilung Bosniens sei in den drei Verhandlungstagen eine Lösung erzielt worden. Karadžić zog darüber hinaus in einer schriftlichen Erklärung seine frühere Zusage zurück, einem künftigen bosnisch-muslimischen Teilstaat 33,3 Prozent des heutigen Territoriums der Republik Bosnien-Herzegowina zu überlassen. In der Erklärung heißt es weiter, die „Republik Srpska“, die die Serben in den von ihnen besetzt gehaltenen 70 Prozent des bosnischen Territoriums ausgerufen haben, sei ein „souveräner, unabhängiger Staat“ und behalte sich das Recht des Zusammenschlusses mit Serbien vor. Damit konterkarierte Karadžić den von Owen und Stoltenberg behaupteten einzigen „Erfolg“ der dreitägigen Verhandlungsrunde. Die beiden Vermittler hatten in ihren öffentlichen Stellungnahmen vom Samstag immer wieder betont, alle drei Seiten hätten sich nun wieder mit der Idee einverstanden erklärt, eine Union dreier Teilrepubliken zu bilden. Karadžić unterstrich hingegen, eine Union sei für die bosnischen Serben allerhöchstens als „Übergangslösung“ akzeptabel, und insistierte auf der im bisherigen Entwurf für ein Bosnienabkommen vorgesehenen Sezessionsklausel. Sie gibt den vorgesehenen drei Teilrepubliken spätestens nach zwei Jahren das Recht zur Abspaltung.

Schon seit November letzten Jahres war bei den Genfer Verhandlungsrunden nur noch von der Teilung Bosniens in drei Staaten, nicht aber mehr von einer Union die Rede – was auch den Realitäten auf dem Schlachtfeld Rechnung trug. Hinter dem Versuch der beiden Vermittler, nun den Unionsgedanken wieder stärker in den Vordergrund zu stellen, steht die gemeinsame diplomatische Initiative, mit der sich die USA und Rußland stärker in die UNO/EU-Vermittlungsbemühungen einschalten wollen. Die beiden Bosnien- Beauftragten Washingtons und Moskaus, Redman und Tschurkin, kamen während der drei Genfer Verhandlungstage mehrfach mit den beiden Vermittlern sowie den Vertretern der drei Kriegsparteien zusammen. Für diese Woche sind Gespräche zwischen der Clinton-Administration und der bosnischen Regierung geplant. Durch die stärkere Betonung einer Konföderation anstelle der Teilung in drei selbständige Staaten hofft Washington, Präsident Izetbegović und Premierminister Silajdžić jetzt endlich zur Unterschrift unter ein Bosnien-Abkommen drängen zu können. Eine Chance hätte diese Strategie nach Ansicht von Verhandlungsbeobachtern allerdings nur, wenn UNO und EU, USA und Rußland zugleich die gewählten Vertreter der bosnischen Mehrheitskroaten am Genfer Verhandlungstisch akzeptierten. Die Teilnahme und die Diskussion ihrer Vorschäge lehnten Owen und Stoltenberg jedoch ab. Andreas Zumach

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