Richtig oder wahr, Hauptsache schön

■ HfbK: Ein Symposion diskutierte die Verwandschaft von Kunst und Wissenschaft

„Übergangsbogen“ und „Überhöhungsrampe“ – zwei Wörter die trotz ihrer klar definierten Herkunft aus dem Gleisbau der Eisenbahn eine schöne Menge von anderen Bezügen ermöglichen. Am Wochenende dienten sie als übergreifender Titel eines Symposions, das der Bildhauer-Professor Bogomir Ecker von der Hochschule der bildenden Künste und Frank Barth von der Kunsthalle organisiert hatten, um von malenden Affen zu Alchimie treibenden Fluxus-Künstlern die grenzübergreifenden Verwandschaften zwischen naturwissenschaftlichen und künstlerischen Verfahren zu beleuchten. Ein mit mehr als dreihundert Personen übervoller Raum am Lerchenfeld bestätigte den Organisatoren auf unerwartete Weise die aktuelle Attraktivität des Themas und beförderte den geselligen Aspekt der Versammlung.

Nachdem Frank Barth resolut alle Hunde des Saales verwiesen hatte, konnten Gedanken verbreitet und Dias geworfen werden und im abgedunkelten Raum ging zwar die frische Luft aus, aber dafür so manches Licht auf. Neben der oft exzentrischen persönlichen Lebensgestaltung ihrer Betreiber haben Kunst und Naturwissenschaft gemein, daß sie am Ende ihres unterschiedlichen Zugriffs auf die Welt etwas veranschaulichen und ästhetisieren. Eine mathematische Formel muß auch schön sein, ein psycholgisches Konzept sich in einer Zeichnung darstellen lassen, biologische Lehrbilder erhalten im Computerbild den Charakter naiv-ironischer Plastiken. Galileo Galilei war auch berühmter Kunstkritiker und akademiestudierter, hervorragender Zeichner. Letzteres ermöglichte es ihm überhaupt erst, zu begreifen und darzustellen, was er erstmalig durchs Fernrohr an Kratern auf dem Mond entdeckt hatte, wie Horst Bredekamp in einem brillanten Vortrag ausführte.

Erkenntnisse bedürfen der Anschauung. Selbst ein so extremer Wortmensch wie Sigmund Freud stellt sich eine später verworfene Theorie um 1895 ganz mechanisch vor: „Ich bekomme den Eindruck, das Ding ist eine Maschine und wird demnächst von alleine gehen...“. Doch wenn Maschinen zu komplex und Informationen hochgradig vernetzt werden, findet vielleicht ein Qualitätssprung statt: der Hamburger Maschinenkünstler Nicolas A.Baginsky gibt zu bedenken, ob nicht jenseits der Frage nach menschengemachter künstlicher Intelligenz in den komplexen Datennetzen ohne unser Wissen eine ganz eigenständige Evolution bereits begonnen hat, nicht für oder gegen die Menschen, sondern einfach von ihnen unabhängig nach eigenen Kriterien.

Der Blick auf die Wissenschaft könnte zur Transzendierung des auf sich selbst fixierten Kunstbetriebes dienen. Doch beide stellen sich als viel zu ähnlich heraus. Wissenschaft und Kunst können sich am Ende eines Jahrhunderts, das einst alle technischen Träume realisieren zu können meinte, nun gemeinsam einig sein über die alleinig mögliche subjektive Interpretation von Welt. Die Frage, ob es überhaupt jenseits der gruppenspezifischen Wahrnehmung eine objektive Welt gibt, weist dabei weit zurück in Zeiten, in denen derartige Gedanken in Begriffen der Theologie ausgeführt wurden.

Im 13. Jahrhunderts began Roger Bacon die experimentelle Naturwissenschaft für wichtiger zu halten als die Spekulation über die Schriften des Aristoteles, knapp 700 Jahre später definiert die Quantenphysik die Unmöglichkeit einer exakten Messung ohne Beeinflussung des Beobachteten durch den Vorgang des Beobachtens. In der Kunst führt Marcel Duchamp 1913 in der Interpretation der erkenntnistheoretischen Schriften des Mathematikers Poincaré neue Maßstäbe und individuelle Metermaße ein, wie Duchamp-Spezialist Herbert Molderings darlegte.

Richtig und wahr sind nicht mehr gleichbedeutend, auch wenn selbst Einstein prinzipiell an einem noch vor der Beschreibung existenten Zustand der Welt festhält. Doch alle Probleme sind Theoreme des Geistes und damit auch nur im Geistigen lösbar. Am meisten Beifall findet dabei eine in sich schöne Argumentation, egal ob Weltformel, Kunstwerk oder Diavortrag.

Hajo Schiff

Ausstellung von Materialien und Objekten der 18 Referenten und Referentinnen in der Produzentengalerie, Michaelisbrücke 3, Mo-Fr 11-13 + 15-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr, bis 20.Februar. Eine Dokumentation auf Computerdiskette ist in Arbeit.