Eine Magna Charta für die Bürgerhäuser

■ Die neue Selbständigkeit fordert findige Finanzmodelle - und die Rückbesinnung auf den Stadtteil

Wir sind so frei – hätte sie heißen können, die Unabhängigkeitsparty des Bürgerhauses Oslebshausen vom letzten Samstag. Mit Bauchtanz, Breakdance und einem neuen Stück der Theatergruppe schipperte das Haus euphorisch in das neue Abenteuer Selbständigkeit. Was in Oslebshausen so feuchtfröhlich gefeiert wurde, hat freilich einen ganz trockenen Hintergrund: In Bremens Bürgerhäusern herrschen seit Januar ganz neue Zeiten. Niemand schreibt ihnen mehr vor, wofür sie ihr Geld ausgeben sollen; es sagt ihnen aber auch niemand mehr, wo sie es hernehmen sollen über die knappe Förderung hinaus.

Zuvor hatte es zähen Streit gegeben um die Etatkürzungen, die die Kultursenatorin den acht Häusern im letzten Jahr auferlegt hatte. Das Hin und Her endete schließlich in einem Gutachten, das die Arbeit des Bürgerhaus-Dachverbandes für uneffektiv erklärte. Der wird sich nun bis zum Sommer endgültig auflösen. Das bedeutet mehr Selbständigkeit für die Häuser, die Rückbesinnung auf den Stadtteil und den Zwang, sich neue Geldquellen zu erschließen.

Da gehen die Bremer Bürgerhäuser nun notgedrungen eigene Wege. Das fängt mit der betriebswirtschaftlichen Organisation an. Alle stehen unter dem Druck, die Einnahmen hochzutreiben, weil die Haushalte so knapp bemessen sind, daß ohne zusätzliche Eigenmittel oft gar keine Programmarbeit mehr möglich ist. Am extremsten haben darauf die Weserterrassen reagiert, das Bürgerhaus des Viertels, das schon letztes Jahr für das Hauscafé eine GmbH gegründet hat. So weit wollen aber die anderen nicht gehen – sie sind Vereine geblieben. Man setzt auf mehr und teurere Fremdvermietung des Saales, so einer vorhanden ist, auf den Getränkeverkauf und auf Kursgebühren.

„Da aber müssen wir aufpassen, daß wir nicht diejenigen ausgrenzen, für die wir das Haus gebaut haben“, gibt Wolfgang Schulz, der Leiter des Bürgerzentrums Neue Vahr, zu bedenken. Gerade die sozial Schwächeren könnten außen vor bleiben, und da muß jedes Bürgerhaus natürlich den Blick in den eigenen Stadtteil werfen.

In der Vahr leben sehr viele SozialhilfeempfängerInnen, es gibt einen überproportional hohen Ausländer- und Aussiedleranteil, und die Wohnsiedlungen von Klöckner, AG-Weser und Daimler Benz sind vor allem an Arbeiterfamilien vermietet.

Ganz ähnlich ist die Situation in Hemelingen, einem Stadtteil, der sowieso „in allen Bereichen benachteiligt ist“, wie seine Bürgerhausleiterin Jutta Schemmer-Erling sagt. Im Moment muß aber einfach jede Gruppe, jede Veranstaltung kostenneutral laufen. Zwei pädagogische hauptamtliche Kräfte können da nur einen kleinen Teil der Arbeit leisten. Der Rest steht und fällt mit dem Einsatz der Ehrenamtlichen, denn Honorare gibt es schon lange nicht mehr. „Zum Glück machen die Leute das dann oft umsonst.“ Wie in der Bauchtanzgruppe für alleinerziehende Frauen, die kein zusätzliches Geld für Freizeitvergnügen erübrigen könnten.

Die Bürgerhäuser sind jetzt mehr denn je auf die Unterstützung ihrer Leute im Stadtteil angewiesen, und die ist den meisten sicher. In Hemelingen haben letztes Jahr die alten Leute vom Seniorenkreis Tische, Stühle und ihr Kartenspiel in die Bahnhofstraße getragen und dort mit Transparenten und Flugblättern gegen die Etatkürzungen protestiert.

Mit der neuen Unabhängigkeit geht für Jutta Schemmer-Erling auch einher, daß sie mehr mit anderen Hemelinger Initiativen kooperiert, „sonst könnten wir uns so manches gar nicht leisten“. Das ist der Leiterin aber gerade recht. „Man lebt ja mit den Leuten im Stadtteil, man muß rausgehen und ein Ohr für ihre Bedürfnisse haben.“ Daß das Bürgerhaus mit seinen Spielkreisen für Kleinkinder nun aber gleich als Ersatzkinderkarten dienen soll, dagegen sträubt sich die Leiterin.

In der Vahr dagegen werden die sozialpädagogisch betreuten Gruppen „schon auch als Kindergartenalternative“ angesehen. Dort hat sich die Kinderarbeit inzwischen zur Hauptaufgabe ausgeweitet. Die anderthalb Stellen in diesem Bereich werden von der Sozialbehörde bezahlt. Ganz im Sinne von Kultursenatorin Helga Trüpel, die langfristig die Bürgerhäuser nicht allein im eigenen Ressort angesiedelt wissen will.

Früher gehörten die Bürgerhäuser ganz zum Sozialen, erst 1992 wurden sie der Kultur zugeordnet. „Da hatte ich mich gefreut, weil es immer geheißen hatte, wir seien so ein soziales, kaputtes Haus“, meint Wolfgang Schulz. „Trotzdem sind wir keine reine Kultureinrichtung geworden. Wir werden immer diese Mischung haben.“

Er würde sich mehr Zusammenarbeit mit den großen Bremer Kulturträgern wünschen und auch gerne mal das Theater am Goetheplatz in die Vahr holen. Überhaupt reizen Wolfgang Schulz die neuen, bislang unbeschrittenen Wege. Vor allem die Sponsorentrommel wird er rühren. Da stimmt auch Jutta Schemmer-Erling ein: „Ich seh mich ja nicht nur als Pädagogin, sondern auch als Kulturmanagerin.“ Silvia Plahl