Verlorene Akten, verblüffte Ermittler

■ Untersuchungsausschuß berät Bericht zum FPR-Skandal: Jeder vierte Polizeireservist belastet / Lummer unter Verdacht

Körperverletzung, Raub und Unterschlagung, Waffenhandel, Vergewaltigung, Besitz von NS- Trophäen, Vorbereitung von Sprengstoffverbrechen oder Hehlerei – der polizeiliche Abschlußbericht zum Skandal um die Freiwillige Polizeireserve läßt kaum ein Delikt des Strafgesetzbuches aus. Der Bericht, der heute von den Mitgliedern des parlamentarischen Untersuchungausschusses beraten wird, ist mit brisanten Zahlen gespickt: Über 665 der derzeit 2.360 FPR-Mitglieder liegen strafrechtliche „Erkenntnisse“ vor. Über 200 Reservisten sind aus dem Dienst ausgeschieden oder entlassen worden, seitdem im Frühjahr 1993 der Verdacht laut wurde, die Truppe werde von Rechtsradikalen unterwandert und sei ein Hort für Kriminelle.

Rund 100 Mitglieder haben ihre Überprüfung, die nach Bekanntwerden des Skandals angeordnet wurde, nicht abgewartet: Sie baten vorzeitig um Entlassung. Ein FPR- Mitglied brachte es in den letzten zehn Jahren auf insgesamt 22 Verfahren; darunter Diebstahl, Betrug und Körperverletzung – alles ohne Konsequenzen. Gegen fünf Mitglieder der Reserveeinheit wird gesondert wegen einer Vielzahl von Delikten, darunter Waffenhandel, ermittelt. Die Festnahme der Waffenschieber hatte vor einem Jahr die FPR in die Schlagzeilen gebracht. Dabei waren auch Kontakte der FPR-Mitglieder zu rechtsextremen Wehrsportgruppen deutlich geworden. Für die polizeilichen Fahnder aber haben sich „Hinweise auf eine rechtsextremistische Unterwanderung ... nicht ergeben“. Weiter im Dienst bleiben durften auch 445 Mitglieder, denen nur geringfügige Delikte wie Sachbeschädigung vorgeworfen wurden.

Interessanter noch als die Zahlen sind die Fragen der politischen Verantwortung für erstaunliche Blackouts bei der Rekrutierung der Hilfspolizisten. In den Mittelpunkt des politischen Interesses rückt dabei der ehemalige Innensenator und CDU-Rechtsausleger Heinrich Lummer. Die findigen Ermittler stolperten nämlich über eine 1985 angeordnete Überprüfung aller Mitglieder der Freiwilligen Polizeireserve. Hintergrund: Damals hatte sich das rechtsextreme FRP-Mitglied Abbas Yacoub erschossen, als die Polizei seine mit Waffen vollgestopfte Wohnung stürmte. Der von der Polizei als „Waffenmeister der rechtsextremen Szene“ titulierte Mann konnte der FPR beitreten, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits acht Verfahren aktenkundig waren.

Zur Verblüffung der Ermittler gibt es keinerlei Akten mehr über die damalige Überprüfung; auch ein Abschlußbericht ist nicht aufzufinden. Die polizeilichen Ermittler konnten dennoch feststellen, daß seinerzeit bereits bei „810 Reservisten eine Kriminalitätsakte vorhanden gewesen ist“. Nicht zu klären sei gewesen, „warum damals offenbar Erkenntnisse unterdrückt worden sind“. Heinrich Lummer, inzwischen befragt, vermag sich an nichts zu erinnern. Gerd Nowakowski