Mehr Distanz zu Rußland

Usbekistan sucht Verbündete bei den Nachbarn Kirgistan und Kasachstan  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Noch in der Endphase der UdSSR gehörten die Staaten Zentralasiens – Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan und Turkmenien – zu den vehementesten Befürwortern einer fortbestehenden Union. In der Zwischenzeit hat sich einiges getan. Das übermächtige Rußland – dem der heutige Präsident und ehemalige Erste Sekretär der KP Usbekistans, Islam Karimow, seine gegenwärtige Stellung zu verdanken hat – verschwindet langsam aus dem Focus. Seit dem 1. Februar sind Usbekistan, Kasachstan und Kirgistan in einer Wirtschaftsunion verbunden.

In Zentralasien zählt Usbekistans Präsident Karimow zu den geschmeidigeren Tänzern auf dem außenpolitischen Parkett. Was er sich im Inneren nicht gestattet – den Dialog mit der demokratischen und islamischen Opposition –, erhebt er außenpolitisch zur Maxime seines Handelns.

Berührungsängste gegenüber ideologischen und politischen Kontrahenten gehören der Vergangenheit an. Seine Reisediplomatie in den ersten beiden Jahren usbekischer Unabhängigkeit führte ihn nach Indien, Afghanistan, in den Iran und die Türkei. Er besuchte China und Indonesien und zeigte besonderes Interesse am Modernisierungsmodell Südkorea. Beschleunigte wirtschaftliche Modernisierung heißt sein erstes, aber noch weit entferntes Etappenziel. Auf dem Weg dorthin scheint ihm Demokratie nach westlichem Verständnis eher hinderlich.

Die Vorliebe für das autoritäre Entwicklungsmodell Südkorea überrascht daher nicht. Investoren aus der westlichen Hemisphäre sind willkommen. Als Stimulans verschiffte Usbekistan im Oktober letzten Jahres Gold im Werte von 400 Millionen Dollar nach Frankreich auf französische, schweizerische und amerikanische Banken. Sie sollen, so Karimow, „jenen als Garantie dienen, die in unser Land investieren wollen“.

Furcht vor wachsenden russischen Forderungen

Die Entscheidung zur gemeinsamen Wirtschaftsunion mit Kasachstan und Kirgisien fiel unter anderem als Reaktion auf die Forderungen Moskaus, an der Ausbeutung der zentralasiatischen Rohstoffe finanziell beteiligt zu werden – und gleichzeitig auch noch Vorschriften machen zu dürfen. Zudem fürchtet man die zunehmenden imperialistischen Revanchedrohungen der russischen Ultrarechten um Wladimir Schirinowski. Außerdem wollen die jungen Staaten den Wünschen Moskaus nach einer doppelten Staatsbürgerschaft für dort lebende Russen nicht nachkommen. Großen Hoffnungen, Rußland könnte sich selbst beschränken, gibt man sich in Taschkent nicht hin. Aber, so ein usbekischer Diplomat, „die Union macht es leichter, mit Rußland wirtschaftlich und politisch umzugehen“. Der neue Verbund trübt die überkommene Allianz zwischen den alten Sowjetrepubliken. Usbekistans südlicher Nachbar Turkmenistan hält weiterhin an einer entgegenkommenden und beschwichtigenden Haltung gegenüber Moskau fest. Und das im Osten an Usbekistan grenzende Tadschikistan hat sich wirtschaftlich und sicherheitspolitisch völlig ins Schlepptau des Kreml begeben.

Hier liegt der wunde Punkt für Karimow, dessen bisherige Moskautreue von den neuen Freunden aus der Türkei und dem Iran mißtrauisch registriert wurde. Die kommunistische Regierung der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe ruht auf den Gewehrläufen russischer und usbekischer Militärs. Karimow half mit, die erste demokratisch-islamische Koalitionsregierung in Tadschikistan zu stürzen. Denn er befürchtete vor allem ein Übergreifen des islamischen Fundamentalismus aus Afghanistan über den tadschikischen Nachbarn ins eigene Land.

Noch vor einem Jahr sah Karimow in Rußland „den Hauptgaranten für Stabilität und Sicherheit Usbekistans vor Bedrohungen aus dem revolutionären Afghanistan und Tadschikistan“. Der Iran mußte wieder auf Distanz gehen. Pakistan, dessen Nähe Usbekistan wegen eines Zugangs zum Meer sucht, war ebenfalls alarmiert, denn Schirinowskis polternde Visionen, eines Tages würden russische Soldaten ihre Stiefel im indischen Ozean waschen, trugen nicht zur Beruhigung bei.

Die jetzige demonstrative Abkehr von Rußland hängt aber offenbar nicht nur mit einer abnehmenden Angst vor einem Übergreifen fundamentalistischer Strömungen aus Afghanistan zusammen. Maßgeblich ist auch die Entwicklung in Afghanistan selbst: Denn dort wurden die Karten in den letzten Wochen neu gemischt.

Aufstieg Dostams in Afghanistan

Usbeken-General Rachid Dostam avancierte zum einflußreichsten Mann des Landes. In der Neujahrsnacht griff Dostam seine ehemaligen Bundesgenossen an – den entkräfteten Präsidenten Burhanuddin Rabbani und dessen Haudegen Ahmed Schah Massud. Einen Tag später geschah etwas bis dahin Unvorstellbares. Dostams erbittertster Gegner, der Mudschaheddinführer Gulbuddin Hekmatyar, schlug sich auf die Seite des Usbeken-Generals. Bisher verkörperte Hekmatyar das größte Hindernis, um in Afghanistan zu einem Friedensschluß zu gelangen.

Usbekistan läßt General Dostam alle notwendige Hilfe zuteil werden. Mittlerweile heißt es, der Stützpunkt Dostams, die Stadt Mazar-i-Sharif im Norden Afghanistans, sei zur heimlichen Hauptstadt des Landes geworden. Mehrfach drohte der General, die von Usbeken bewohnte Nordprovinz zu einem souveränen Staat zu erklären.

Nur achtzig Kilometer trennen Mazar und die usbekische Grenzstadt Termez. Täglich rollen LKWs mit Zement über die Grenze, um Dostams Verteidigungswälle in Mazar zu verstärken. Auch Waffen werden geliefert. Karimow handelt nicht selbstlos. Im Gegenzug verlangt er von Dostam, die aus Tadschikistan geflohenen Fundamentalisten auf afghanischem Territorium in Schach zu halten. Nach der Allianz mit Hekmatyar dürfte es ihm um so leichter fallen.

Die Stärke des Usbeken-Generals haben mittlerweile auch andere erkannt. In Mazar-i-Sharif errichteten Saudi-Arabien, Rußland, der Iran, Turkmenistan und Pakistan bereits Konsulate. Demnächst folgt die Türkei. China, Indien und die USA warten noch ab. Zur Zeit blüht die heimliche Hauptstadt, doch wie lange noch? Auch Dostam ist ein flexibler Bündnispolitiker.