Das endliche Würfeln der Fallen

■ Offen für alle Enden: Raucht sie, raucht sie nicht?

Miles, der Schulrat, ist verwirrt, verschnupft, düpiert. Gestern abend hatte er Celia, der Frau seines Freundes, beim Gartendiner eine Liebeserklärung unterbreitet – mit dem Erfolg, daß er die Nacht im Schuppen verbringen mußte. Dabei hatte Celias Mutter Josephine, überall für ihre Diskretion bekannt, ihm hinter einer Hecke noch gesteckt, daß ihre Tochter im Bett ein Vulkan ist, vraiment!

Möwen kreischen höhnisch, die Glocken läuten, Kinder rufen auf dem Sportplatz (Miles findet die Kinder so sauber! So anständig!). Wir sind in Hutton Buscel, Yorkshire, England, und da gibt es einen Friedhof, eine Kirche, eine Schule und ein indisches Restaurant. Es ist Frühsommer.

Es fing damit an, daß Celia sich nach dem Hausputz keine Zigarette ansteckte. Oder eben doch ansteckte. Folgen Sie zum Beispiel der ersten Möglichkeit: Celia steckt sich eine Zigarette an, das Telefon klingelt, der Gärtner ist dran. Er möchte Zierbelag anlegen, was immer das ist. Für Celia, in diesem Fall eine etwas aufgescheuchte Direktorsgattin, ist das eine ziemlich harte Nuß, aber warum nicht, und als der Gärtner dann auch noch Sibelius kennt, ist sie hin. Und er sowieso. Aber es kommt zu nichts: „Ich bin vorsichtig. Mein Vater war Apotheker. Jetzt habe ich auch noch einen Schluckauf.“

Short cuts cut short, ihr Mann Toby ist ein Stinker, das Ehepaar fährt in einen Badekurort; plötzlich ist der Gärtner der Kellner. Nimm ein Stück Kuchen, Celia, Liebste, und noch eins, steck sie dir in die Tasche, laß uns zusammen weggehen, dein Mann liebt dich doch gar nicht. Mit fünf Stücken Torte im Magen und fünf anderen in der Handtasche läßt es sich schlecht romanzen, aber immerhin: Fünf Jahre später ist der Mann tot, Celia eine Geschäftsfrau, der Gärtner ihr Chauffeur. Oder: Fünf Jahre später ist der Gärtner ein erfolgreicher Unternehmer, und sie eine bitter Enttäuschte an der Seite eines Alkoholikers. Oder der Gärtner ist Friedhofspfleger. Oder sie war fünf Jahre in der Klinik, und ihr Mann kümmert sich rührend um sie. Oder sie macht mit dem Gärtner, der eigentlich Bäcker ist, einen kleinen Stand auf. Der backt aber eine Art Kuhfladen, wenn Brot gefragt ist, und sie hat einen Nervenzusammenbruch.

Die Sache mit dem Rauchen oder Nicht-Rauchen führt ins Melodram, in die Sitcom mit brennender Gartenlaube, in die Soap- opera, in ein autorenfilmhaftes Ende im Nebel, zu Tschechow und wieder zurück. Die beiden Akteure, Sabine Azema und Pierre Arditi, hatten einen unverschämten Spaß, diese neun mal neun Leute zu spielen, und unsereins hat seinen Spaß, diese Leute aufeinandertreffen zu sehen. Der wird nicht einen Hauch dadurch gemindert, daß wir es hier mit einer ähnlichen bitteren Hysterie zu tun haben, die auch Altmans „Short Cuts“ beflügelte. Die Eleganz ist jedoch, wenn das möglich ist, noch größer, da treffen eben wirklich englische Zucht, Ordnung und Anarchie auf Renaisschen Schalk. Überregionale Wahrscheinlichkeitsrechnung paart sich mit Entropie – wie ein frischer, eiskalter Obstsalat. Mariam Niroumand

Alain Resnais: „Smoking“ & „No Smoking“. Frankreich 1993, je 140 Minuten. Kamera: Renato Berta. Mit Sabine Azema, Pierre Arditi und Peter Hudson als Erzähler

16.2. International 22.30 h („No Smoking“)