■ An seinem fünften Jahrestag erneuern die iranischen Mullahs den Mordbefehl gegen Salman Rushdie: Das Tor der Reue
Der fünfte Jahrestag der Fatwa gegen Salman Rushdie ging zu Ende, ohne daß Teheran das Todesurteil bekräftigte. Auch der Autor der „Satanischen Verse“ schwieg in seinem Londoner Versteck. Es schien, die beiden Seiten seien daran nicht interessiert, dieses Jahr die Fatwa an die große Glocke zu hängen.
Gestern, mit einem Tag Verspätung, wiederholten die Mullahs nun doch den Mordbefehl des verstorbenen Ajatollah Chomeini. Die neue Drohung aus der iranischen Hauptstadt besagt viel über die derzeitige Befindlichkeit der Islamischen Republik Iran. Nach dem Tode Chomeinis 1989 galt der Staatspräsident Rafsandschani als Hoffnungsträger des Landes. Vom „Augapfel“ des Imam erwarteten die Armen Arbeit und Brot, die westlich orientierten Reichen persönliche Freiheiten und Rechtssicherheit. Die Intellektuellen sahen in ihm einen islamischen Gorbatschow, der berufen ist, den ideologischen Ballast der Revolution abzuwerfen. Und das westliche Ausland erhoffte sich von dem „moderaten Politiker“ Abschied vom Staatsterrorismus und Rückkehr zur politischen Normalität.
Doch der iranische Staatschef enttäuschte alle. Die Armen sind noch ärmer geworden als zur Zeit des Schah-Regimes. Heute, im Jahr 15 der Revolution, herrschen Inflation, Arbeitslosigkeit und Korruption im schiitischen Gottesstaat. Die verheißene islamische Gerechtigkeit ist im klerikalen Filz und Nepotismus erstickt. Armut, Korruption und religiöse Intoleranz grassieren weiter. Rafsandschani hat zwar seine islamistischen Rivalen zurückgedrängt, doch der Geist des Terrors und der Unduldsamkeit regiert nach wie vor. Rafsandschanis höchstes Gebot ist, an der Macht zu bleiben. Dabei muß er den fundamentalistischen Strömungen allerlei Konzessionen machen. Dazu gehört auch das Festhalten an der Fatwa. Die Religion ist in dem schiitischen Gottesstaat zum Büttel der Macht geworden. Die Mullahs schrecken nicht davor zurück, die islamischen Traditionen zu mißachten. Selbst wenn Rushdie Reue zeige, heißt es in der neuen Erklärung aus Teheran, gelte die Fatwa weiter, denn „es gibt nur Gnade nach dem Tod“.
Ein berühmter, von allen Muslimen befolgter Spruch des Propheten lautet aber: „Solange die Sonne im Osten aufgeht, ist das Tor der Reue geöffnet.“ Ahmad Taheri
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