Das Ende der „Friedensregion“

■ Serbische Truppen verschonen westbosnische Region Bihać nicht länger

Wien (taz) – Für die bosnische Regierung gibt es keine Zweifel: Die serbischen Belagerer ziehen ihre schweren Waffen um Sarajevo ab, um sie an anderen Frontabschnitten sofort wieder einzusetzen. „Das erklärt das Granatfeuer auf Bihač“, meldete gestern der bosnische Rundfunk, „aber wir werden diese Drangsalierung verhindern.“ Noch leisten die muslimisch-bosnischen Truppen den Angreifern Widerstand, noch ist die Lage für die 180.000 Eingeschlossenen nicht ausweglos.

Die im Nordwesten Bosniens liegende Bergregion Bihać, von der Fläche etwa so groß wie Luxemburg, war bis vor kurzem eine „Autonome Republik des Friedens“. Lokalfürst Fikret Abdić regierte dort mit „eiserner Hand“ und schreckte im vorigen Oktober auch vor einem Separatfrieden mit Serben und Kroaten nicht zurück, als diese zur gleichen Zeit ihren Belagerungsring um Sarajevo und Mostar enger und enger zogen. Der Muslim Abdić stellte sich damals offen gegen die Regierung in Sarajevo, brandmarkte Präsident Alija Izetbegović öffentlich als „Diktator“ und bezichtigte seinen ehemaligen politischen Mitstreiter als einen Fundamentalisten, der angeblich Bosnien in eine Islamische Republik umwandeln wolle.

Sarajevo reagierte prompt, schloß Abdić aus dem kollektiven Staatspräsidium aus und rief die mehrheitlich muslimische Bevölkerung von Bihać auf, Abdić zu stürzen. Seitdem kämpfen Abdić- gegen Izetbegović-Anhänger, die Region spaltete sich, doch keine Seite gewann in den letzten Monaten je die Oberhand.

Während es Abdić bisher jedoch gelungen war, durch Absprachen mit Serben und Kroaten seine Region aus dem Krieg „herauszuhalten“, hat sich dies nun geändert: Denn das serbische Kalkül, zunächst Sarajevo und Ostbosnien unter ihre Kontrolle zu bringen, den bosnischen Widerstand zu brechen und dann auf die Kapitulation Bihaćs zu warten, ist nicht aufgegangen.

Heute ist es ein offenes Geheimnis, daß der Geschäftsmann Abdić den Frieden seiner Region erkauft hatte. Er lieferte den Serben, später auch den Kroaten, landwirtschaftliche Produkte, heimisches Öl und erlaubte beiden Kriegsgegnern, auf seinem Territorium Tauschhandel zu betreiben. In Bihać tummelten sich plötzlich alle Konfliktparteien und wickelten untereinander Geschäfte ab, als gäbe es gar keinen Krieg.

Auch damit scheint es jetzt vorbei zu sein. Die Serben brauchen Bihać als Umschlagsplatz für ihre Kriegsbeute und als Nachschubbasis nicht mehr. Aus Rache, daß Sarajevo nun doch nicht in ihre Hände fallen wird, versuchen sie verlorenes Terrain zurückzubekommen, das neue Kriegsziel ist die Eroberung Westbosniens. Beide Kriegsparteien behaupteten gestern, der jeweils anderen Seite schwere militärische Schläge zugesetzt zu haben. Allerdings mußte der bosnische Rundfunk auch eingestehen, daß die bosnischen Truppen in eine „schwierige Lage“ geraten seien. Agenturen bestätigen nur, daß die Kämpfe an Intensitiät zunehmen und die serbische Seite mit rund 5.000 Soldaten, mit Panzern und unter Einsatz von Kampfhubschraubern weiter auf Bihać vorrückt. In der Stadt selbst wurde das Krankenhaus mehrfach von Granaten getroffen. Dabei starben mindestens vier Menschen. Ein erneutes Aufflammen der Kämpfe wurde auch von den bosnisch-kroatischen Frontlinien in Zentralbosnien gemeldet. Dabei geriet die Stadt Gornji Vakuf unter schweren Beschuß kroatischer Truppen. Karl Gersuny