DDR-Richter wegen Freiheitsberaubung verurteilt

■ „Mit unnachgiebiger Härte“ gegen Ausreisewillige vorgegangen

Magdeburg (taz) – Denselben Weg wie ihre früheren Opfer sollen zwei ehemalige Juristen der DDR gehen. Die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Magdeburg verurteilte gestern den ehemaligen Kreisgerichtsdirektor Siegfried Klose und den früheren Staatsanwalt Frank Groß wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zu Haftstrafen von einem Jahr und neun Monaten beziehungsweise einem Jahr und sechs Monaten. Allerdings waren die Richter gestern gnädiger als die beiden früheren Juristen in ihrer eigenen Amtspraxis und setzten die Haftstrafen zur Bewährung aus. Die Angeklagten müssen überdies je 1.000 Mark an den Bund der Stalinistisch Verfolgten zahlen. Beide Ex-Juristen, so das Gericht in seiner Urteilsbegründung, haben ausreisewillige DDR- Bürger, die sich mit der Ablehnung ihrer Ausreiseanträge nicht zufrieden geben wollten, mit unnachsichtiger Härte verfolgt und verurteilt. Die Straftatbestände: Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit, öffentliche Herabwürdigung der DDR und ihrer Organe, ungesetzliche Verbindungsaufnahme und landesverräterische Nachrichtenübermittlung. Zu einer Anklage wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit hatte schon ein Urlaubsplakat von Neuseeland mit dem Schriftzug Freiheit an der Wohnungstür eines Ehepaares ausgereicht, für eine Verurteilung wegen landesverräterischer Nachrichtenübermittlung genügte der Brief eines Ausreisewilligen über den Stand seiner Bemühungen an die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte. Der Staatsanwalt hatte in seiner Anklage behauptet, daß die hohen Urteile dazu gedient hätten, die Ausreisewilligen für den Freikauf der Häftlinge zu prädestinieren; dieses Motiv allein wollte die Kammer jedoch nicht gelten lassen. Allerdings hätten die Angeklagten die Ausreisewilligen nicht mit der auch von staatlicher Seite der DDR geforderten Differenzierung behandelt, sondern stets gleichermaßen „mit unnachsichtiger Härte verfolgt und verurteilt“. Den ausreisewilligen BürgerInnen sei damit „erkennbar Unrecht zugefügt“ worden. Die damals verhängten Strafen verstießen nach Auffassung der Richter gegen die Verhältnismäßigkeit und gegen die Menschenrechte.

Klose und Groß sowie ihre Verteidiger hatten dagegen immer wieder betont, mit den Haftstrafen im Rahmen der jeweils geltenden DDR-Strafgesetze geblieben zu sein. „Wir haben DDR-Recht gesprochen und werden jetzt am BRD-Recht gemessen“, sagte Klose in seinem einstündigen Schlußwort. Mit seinem Urteil blieb das Gericht unter dem Antrag von Oberstaatsanwalt Wolfram Klein, der für Klose dreieinhalb und für Groß zweieinhalb Jahr Haft gefordert hatte. Sowohl Staatsanwalt Klein als auch die Verteidiger wollen gegen das Urteil Revision einlegen. „Aber wenn schon die grundsätzliche Rechtsauffassung des Gerichts in der Revision Bestand hat, werden wir uns im nächsten Jahr in derselben Besetzung hier wiederfinden“, kündigte Klein nach der Urteilsverkündung an. „Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die beiden Angeklagten noch in 60 beziehungsweise 150 ähnlich gelagerten Fällen.“ Eberhard Löblich