Lebensschützer verbreiten Horror

■ Wieder ein Massenbrief gegen das neue Abtreibungsgesetz

Berlin/Frankfurt/M. (taz) – „Packen wir's an. Gemeinsam können wir die notwendigen Voraussetzungen schaffen, die dem nichtrechtswidrigen Mord an ungeborenen Kindern ein Ende bereiten.“ Markig sind die Sprüche, mit denen der Verein „SOS Leben/ DVCK e.V.“ zur neuen Kampagne für das „ungeborene Leben“ bläst. Die „Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur“ bedient sich der Kraftsprüche aus dem Reich der Mineralölwerbung, kombiniert mit suggestiven Phrasen – fertig ist die Wurfsendung der Abtreibungsgegner.

„Finden Sie es nicht auch ungerecht, daß ein ungeborenes Kind ... in den ersten zwölf Lebenswochen einfach so getötet werden darf?“ Die so etwas schreiben, nennen sich „freie, stolze Bürger“. In einer Massenauflage von angeblich 500.000 Stück versenden sie einen Brief. Zweck der Aktion: möglichst viele Spenden für das Konto der Lebensschützer. 30, 50, 100, 200 Mark, die Höhe darf beliebig gewählt werden, das Kreuz bitte ins passende Kästchen, der maschinenausgefüllte Zahlschein liegt anbei. Zusätzlich sollen auch möglichst viele vorformulierte Protestnoten an den Bundeskanzler abgeschickt werden. Eine bundesweite Mobilisierung gegen den Paragraphen 218 will der Verein erreichen. Dem vierseitigen Pamphlet beigelegt ist ein Fragebogen. Darin wird der „Bürger der Bundesrepublik Deutschland“ aufgefordert, Stellung zu schlecht formulierten Statements zu beziehen. „Meinen Sie nicht auch“, heißt es da, daß Beratungsstellen, die mögliche Hilfen für Schwangere „nicht erwähnen, die Ausübung der Schwangerschaftsberatung verboten werden müßte?“ Auch über die Abtreibungspille RU 486 wird gerichtet. Jenen Politikern, die für die „Abtreibungsfreigabe“ eintreten, soll bei den kommenden Wahlen die Stimme verweigert werden.

Auf rosafarbenem Papier folgt ein „Tötungsfahrplan“ der Pille RU 486. Nach Einnahme der RU 486 versucht „der mütterliche Körper das Kind oft durch Erbrechen des Tötungsmittels zu schützen. Zwei Tage hernach treten „krampfartige Schmerzen“ auf. Abtreibungsmethoden lesen sich wie aus dem Handbuch des Folterknechts. Beim Absaugen werde das „Kind zerrissen und als Gewebebrei entfernt“. Nach der 16. Woche werde Gift in die Fruchtblase gespritzt. Das Kind „verbrennt unter heftigen Zuckungen buchstäblich bei lebendigem Leibe“.

Die Art des Briefes, sein Sprachstil, habe sie erschreckt, sagt Annegret M.. Der Schrieb flatterte der 40jährigen Kindergärtnerin vor einigen Tagen ins Haus. „Wenn ich mir vorstelle, gerade zu überlegen, ob ich ein Kind austragen wollte oder nicht, und dann ein solches Schuldbewußtsein eingeimpft zu bekommen. Ich glaube, ich würde verzweifeln.“ Genau das wollen die Lebensschützer erreichen. Frauen sollen sich unter Druck fühlen. Die Briefe wurden aber auch an Männer verschickt. Die Adressen für die „Aktion gegen die Abtreibung“ wurden von Adressenverlagen gekauft.

Stellvertretender Vorsitzender des SOS Leben ist ein „praktizierender Christ“ aus Frankfurt. Zeitschriftenabonnenten seien die Zielgruppe der Wurfsendung gewesen, sagt Gerstdorf. Er arbeitete seit 1983 zunächst in der christlichen Jugendarbeit, seit 1990 als Lebensschützer. Vor allem im Osten der Republik müßten die Menschen „missioniert“ werden. Gestdorf, der sich selbst als „katholischer Laie“ bezeichnet, will die Briefaktion mit den Bistümern abgesprochen haben.

„Ganz im Gegenteil“, kontert der zuständige Referent Wittekind vom Bistum Limburg. Bereits Ende 93 warnte das Bistum im Kirchenblatt vor diesem Verein der Lebensschützer und seinem Vorsitzenden Benno Hofschulte. Eine unseriöse Spendenfirma vermutet der Kirchenmann hinter dem dubiosen Zusammenschluß. Auch bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt ist er bereits bekannt. Allerdings wurde im vergangenen Jahr ein Ermittlungsverfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt. Annette Rogalla