Wo der Tod zum Leben gehört

Das Café PositHIV wird vier Jahre alt / In dem Treff für HIV-Positive und Freunde wird geklönt, gekocht, Karten gespielt / Zum Geburtstag gratuliert  ■ Tomas Niederberghaus

Fotos knackiger Kerle hängen an den Wänden. Grace Jones trällert ihr „La vie en rose“. Gäste im Café PositHIV unterhalten sich angeregt. „Wie war die Beerdigung von Patrik?“ fragt Josef seine Tischnachbarin. „Ganz okay“, sagt Jessicca, „ein Freund hat Patriks Lieblingsgedicht vorgelesen, es wurde musiziert, und anschließend saßen wir in seiner Wohnung, haben noch einmal die letzten Monate Revue passieren lassen.“ Patrik liegt nicht weit von Klaus, Peter und den anderen beerdigt.

Im Café PositHIV gehört der Tod zum Leben, darüber wird offen gesprochen. Der Treffpunkt in der Großgörschenstraße 7 hat sich seit der Gründung durch die Berliner Aids-Hilfe zu einem wichtigen Forum von und für HIV-Positive und deren Freunde entwickelt. Seit vier Jahren wird hier gekocht, geklönt, Karten gespielt, gemalt und gefeiert. „Das Café ist ein erfolgreicher Beweis gelebter Solidarität“, zieht Michael Marwitz von der Berliner Aids-Hilfe Bilanz. Probleme gibt es trotz dieser Erfolgsmeldung. Geldkürzungen durch die Senatsverwaltung bei gleichzeitig steigenden Kosten machen die Zukunft des Cafés ungewiß. Irma, Ina, Florian und Josef sind regelmäßige Gäste des Cafés. Ihre Eindrücke und Erfahrungen im PositHIV schildern sie in einem Gespräch mit der taz.

Ein Freund hatte ein positives Testergebnis. Durch ihn bin ich hier reingekommen. Für mich war das Café schon vorher aktuell, allerdings dachte ich früher, daß ich als Frau nicht erwünscht bin, daß das Café nur für Männer ist. Das ist natürlich Quatsch. Ich wurde schnell akzeptiert und fühle mich sehr wohl.

Freunde habe ich hier viele gefunden. Davon sind schon zwei gestorben. Die waren in meinem Alter. Es ging rasend schnell. Das Café ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Schade nur, daß es die einzige Anlaufstelle ist. In Berlin gibt es so viele HIV-positive Menschen. Ich frage mich, wo die nur sind, denn hier findet sich in der Regel nur eine kleine Gruppe ein. Wenn ich mal länger nicht hier war, werde ich nervös und denk' mir: Mensch, du mußt unbedingt wieder ins Café. Das Tolle ist, daß ich hier ich sein kann.

Wir sind mutig, wir bleiben mutig, und wir machen mutig. Das Café ist ein Ort, an dem man sich einfach wohlfühlt. Ich mag die Leute. Ich werde hier nicht blöd angemacht, hier wird nicht blöd gegeifert wie in einer Disco. Es gibt hier keine Deppen. Ich versuche mindestens einmal in der Woche einen Dienst im Café zu übernehmen. Zur Zeit komme ich allerdings nicht so oft. Ich hab gerade Streß mit 'nem Typen. Was ich hier schätze? Das Gemeinschaftsgefühl. Wir spielen Doppelkopf, kochen und essen zusammen und plaudern und diskutieren. Für mich ist das hier auch so etwas wie eine Therapie, obwohl es natürlich keine Therapie ist. Jedenfalls haben wir hier Spaß. Meine Beziehung zu den Leuten hier hat sich sehr intensiviert. Viele Freunde und Bekannte, auch aus dem Café, sind bereits gestorben. Das schweißt uns zusammen. Hier sind positive Schwule, Frauen und Junkies. Ich habe in diesem Café sehr viele Ängste verloren. Das tut einfach wahnsinnig gut.

Das Café ist für mich eine Art verlängertes Wohnzimmer. Ich bin schwul, lebe allein, und häufig geht's mir gesundheitlich nicht sehr gut, so daß ich in die normale schwule Szene nicht mehr kann und auch nicht will. Ich bin sehr gerne hier. Manchmal komme ich vier- bis fünfmal in der Woche. Die Leute hier kenne ich. Vor ihnen muß ich keine Maske aufsetzen, muß nicht Schampusrunden schmeißen, um anerkannt zu werden. Das heißt: Ich muß hier nicht schön, stark, groß oder reich dastehen wie anderswo. Es macht Spaß, hier zu kochen und sich zu unterhalten. Für Leute, die zum ersten Mal im Café auftauchen, ist es vielleicht gar nicht so einfach, sofort Kontakt zu finden. Es gibt hier schon eine Cliquenwirtschaft. Nach meinen Erfahrungen ist es allerdings so, daß jemand, der wirklich hier reinkommen will, es auch schafft. Manchmal betreten sehr depressive Menschen, die eine Beratung brauchen, das Café. Die haben es hier nicht so einfach. Wir sind keine Beratungsstelle, und die Leute sind auch keine Therapeuten, aber wenn jemand signalisiert, daß es ihm schlecht geht, dann wird das auch aufgenommen. Natürlich sprechen wir über die täglichen Probleme. Momentan gibt es im Café einen Bruch. Es gab immer Menschen, die weggestorben sind. Zur Zeit sterben für das Café sehr wichtige Menschen.

In diesem Café verbindet der gemeinsame Wille zu leben. Hier habe ich gelernt, das Unfaßbare als Gegenstand eigener Überlegungen faßbar zu machen. Das Café sollte für Leute sein, die gerade ihr positives Testergebnis bekommen haben, aber ich glaube, das ist paradox. Die Leute sind nicht in der Lage, gleich hier einzutreten. Es gibt auch Schwellenängste. Aber es ist nicht die Schwelle des Cafés, sondern eine gesellschaftliche Schwelle im Umgang mit Krankheit und Tod. Auch ich habe mein Testergebnis zunächst als Privatsache gehandelt. Inzwischen weiß ich, daß es wichtig ist, in die Öffentlichkeit zu gehen. Aids ist eine Krankheit wie alle anderen. Auch der Tod ist doch nichts Neues. Ich glaube, daß die Gesellschaft von uns lernen kann, mit Alter, Krankheit und Tod umzugehen. Allerdings geht es auch sehr vielen Positiven so, daß erst, wenn sie vor der Urne eines Freundes stehen, merken, was sie noch alles in ihrem Leben machen wollen. Wie Jürgen, der erst spät anfing zu fotografieren. Ich habe ein Dreivierteljahr gebraucht, bis mein Freund – er ist nicht positiv – hierherkam. Was ich hier schätze, ist die Basisdemokratie. Hier funktioniert sie. Zudem ist das Café ein Netz. Wir wissen voneinander, daß wir uns tragen werden, nicht alle jeden, sondern ein paar den und ein paar den anderen, egal was passiert, auch wenn er oder sie sabbernd im Rollstuhl sitzt.