„Ich habe ihn auf den Mund geküßt“

■ Pressekonferenz mit Tom Hanks, dem aidskranken Anwalt aus „Philadelphia“

Tom Hanks sieht blaß aus. Die Lippen haben die gleiche Farbe wie die Backen. Ein monochromes Gesicht. Künstlich, fast leblos. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, es ist gar keine Blässe, sondern die Einfarbigkeit, die ihn so ungesund macht. Eine dick geschminkte Schaufensterpuppe, der leibhaftige Kamera-Zombie. Im Bild sehen sie dann aus wie das blühende Leben. Selbst wenn Hanks lacht, ist es ein Pokerface.

„Mr. Hanks, wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?“

„Indem ich abgenommen habe.“

„Hat die Rolle des aidskranken Andrew Ihrer Karriere geschadet?“

„Huutsch (Hanks in „Scott und Huutsch“ — sein Leben mit Hund gewissermaßen) war schlimmer.“

„Haben Sie für die Rolle recherchiert?“

„Klar, ich machte die Tür auf und sagte: Hallo, ich bin der 37jährige heterosexuelle Filmstar, der als erster in einem Hollywood-Mainstream-Film einen Schwulen spielen soll, der an Aids stirbt; könnt Ihr mir helfen?“ (Besprechung von „Philadelphia“ siehe taz vom 3. 2. 94.)

Allmählich kommt Hanks in Fahrt. Die Standardfragen machen ihm sichtlich Spaß, nicht weil er etwas anderes auf Lager hätte als die Standardanworten, mit denen Schauspieler in der Regel Auskünfte höflich und unauffällig verweigern. Nein, die Rolle macht ihm Spaß. Der Film heißt Pressekonferenz, Hanks ist der Hauptdarsteller, und wir sind die Premierengäste, Zuschauer der einzigen Vorstellung dieses Stücks, exklusiv und live. Also gibt er dem Affen Futter.

Ihr wollt Antworten? Ich spiele sie Euch vor, das ist mein Job, dafür werde ich bezahlt. Unzählige Kameras registrieren jede Miene, jede Geste, jeden Augenaufschlag. Und niemand will einen zweiten Take.

Vielleicht machen die Hollywoodstars das deshalb so gut, weil sie sonst nie improvisieren dürfen. Pressekonferenzen sind ihr einziges Freispiel. Auf die Frage nach der Bettszene hat Hanks nur gewartet. Die einzige Sequenz, in der Hanks als aidskranker Anwalt seinen Liebhaber Miguel (Antonio Banderas) auf den Mund küßt. Nicht daß so etwas wie Sex ins Spiel käme, sie umarmen sich nur, sagen sich Gute Nacht und kuscheln. Diese Szene wurde aus „Philadelphia“ herausgeschnitten.

Der Produzent sagt, aus Gründen der Länge. Tom Hanks spielt der versammelten Journaille vor, wie es wäre, wenn die Szene dringeblieben wäre. Er sitzt im Kino und wartet auf den Kuß. Er jiepert danach, er will ihn sehen und sonst nichts. Alles andere, Aids, Diskriminierung, die Schwulen und die Heteros, die Menschrechte, alles, worum es in „Philadelphia“ geht, interessiert ihn nicht. Er steigert sich in seine Ungeduld, fast kippt die Szene ins Hysterische. Dann, endlich, der Kuß. Auch den spielt er uns vor, mit einem lauten, schmatzenden Geräusch. Eben war es noch ein Steve-Martin-Film, jetzt ist es ein Comic.

Tom Hanks senkt die Stimme. „Das ist doch keine Love-Story.“ Es gehe um Menschlichkeit in diesem Film, deshalb sei der Kuß unwichtig. Zwar hat Hollywood Menschlichkeit noch nie anders propagiert als mit Hilfe von Leinwandküssen, aber auch diesen Einwand würde Hanks garantiert retournieren. Als ahne er mögliche Widerworte, hebt er ein letztes Mal an.

„Finally, we kissed each other. Seine Lippen berührten meine Lippen, wenn ihr's sehen wollt, kommt nach Philadelphia, dann machen wir's noch mal.“

Noch Fragen? Bloß eine. Nach dem Gatt-Handelskrieg zwischen den USA und Europa, nach Jack Valentis Waffenstillstandsangebot vom vergangenen Wochenende, will ein Kollege wissen, welchen ausländischen Film Hanks zuletzt gesehen habe. Zum erstenmal zögert der Star. Eine Sekunde lang zögert er wirklich, dann wird auch das ein Spiel. Wieder eine Farce, eine Minuten-Komödie. Er rauft sich die Haare, verdreht die Augen, kramt im Gedächtnis, daß man es noch in der letzten Reihe sehen kann. „,Das Boot‘? Ist ein bißchen lange her.“ „L'Indochine“ fällt ihm noch ein. Auch nicht gerade ein aktueller Film. Und „Das Piano“. Aber das sei ja kein ausländischer Film, nein, „Das Piano“ zählt nicht.

So einfach ist das. Jane Campions Film aus Neuseeland wird kurzerhand zum Hollywood-Produkt erklärt. Die anderen, die er so kennt, sind schon etwas bejahrt.

„Und wo ist Hollywood?“, fragte die Schauspielerin in „Alles auf Anfang“ von Reinhard Münster. „Überall“, antwortete der Drehbuchautor. Dafür hassen wir es nach Kräften. Bloß einen wie Tom Hanks, den lieben wir dafür. Christiane Peitz

Jonathan Demme: „Philadelphia“. USA 1993. 119 Min. 18. 2., International, 20 h.