Das Telefon im Bauch

Stimmen und Stimmungen: „Pickled Punk“ im Forum  ■ Von Manfred Riepe

„Hallo, ist das das Sorgentelefon? Mein Fallschirm geht nicht auf.“ – „Ah, jemand mit Funktelefon!“ – „Was soll ich tun?“ – „Ich kann Ihnen nicht helfen, aber singen Sie ein Lied. Das erfreut die Arbeiter.“ – Gesang: „Seifenblasen schweben auf ein Vordach zu...“

Das japanische Independent- Movie „Pickled Punk“ ist aus der Perspektive einer solchen Seifenblase gedreht, die zerplatzt. Und diese Blase ist für Oda eine Metapher des japanischen Gemüts: „Vielleicht gehört es zur Wesensart der Japaner, daß sie höchst selten die Tür zu ihrem Inneren öffnen, auch wenn der Druck noch so stark ist.“ Öffnet sich diese Tür, so nur wegen Überdrucks, mit Gewalt. Davon handelt „Pickled Punk“. Seine kaleidoskopartig montierten Bildfolgen, die nur von poetischen Monologen zusammengehalten werden, muß man mit Clive Barker lesen: „Blutbücher sind wir Leiber alle; wo man uns aufschlägt: lesbar rot.“

In einer gänzlich pragmatischen, von Technologie vollkommen durchdrungenen japanischen Gesellschaft ist die Selbstreflexion zur Selbstzerstörung verkommen. „Pickled Punk“ handelt deswegen von Gewaltphantasien. Ein Mann beißt in einen Hamburger, in dem eine Rasierklinge steckt. Blut tropft zu Boden. Das Öffnen des Leibes ist Symptom für die Abwesenheit der Sprache, Phantasmagorie einer fehlgeleiteten Sinnsuche. „Pickled Punk“ ist ein kinematographischer Wundstarrkrampf.

Um so reizvoller ist es, daß der Film, als Versuch einer Rückgewinnung von Sprache, stark von der poetischen Kraft seiner Monologe lebt. Die bestehen aus „Wortspielen, die mir spontan einfielen, oder es sind Dinge, die ich irgendwo aufgelesen habe. Es gibt keine synchronen Dialoge“, sagt Hideo Yamaoka. Die vier Haupfiguren des Films begegnen sich, aber sie sprechen nicht miteinander.

Für diesen Zustand hat der Regisseur ein starkes Bild geschaffen: Im Bauch eines jungen Mannes – er heißt nur „junger Mann“, es gibt keine Namen, weil es keine Anrede gibt – klingelt das Telefon: „Seit dem 10. Oktober läutet es direkt aus meinem Magen.“ Was zu einem ernsthaften Problem wird, weil die Nachbarn sich durch den Lärm gestört fühlen (die einzige Möglichkeit, den Hörer abzunehmen, ist die, von der auch James Woods in „Videodrome“ Gebrauch macht...).

Das Telefon, Sinnbild totaler Verbindung, führt zur Sprachlosigkeit. Am anderen Ende der Leitung sitzt eine Frau, die sich ärgert, weil niemand auf ihren Anrufbeantworter spricht.

Als Tagebuch der Sprachlosigkeit notiert der Film abstruse Details: „In die Kloake geworfene Schulbücher: 268“. Oder „Spione, die Qualvolles geträumt haben: 34“. Zu behaupten, der Film entspräche nicht den herkömmlichen Sehgewohnheiten, ist Unsinn.

Mit der Vorgarten-Ästhetik der meisten Wettbewerbsfilme hat „Pickled Punk“ soviel zu tun wie Akupunktur mit der Kettensäge. Gewiß keine leichte Kost, aber wer beißt schon gerne auf Rasierklingen?

Hideo Yamaoka: „Pickled Punk“. Japan 1993, 82 Minuten. 17.2. Akademie 12 h