Keine Sonne in Leipzig

Ein Dokumentarfilm von Andreas Voigt über Skins „Glaube, Liebe, Hoffnung“ stellt leider etwas nur sehr allgemeine Fragen (Forum)  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Düster und trostlos sind die Landschaften in der ehemaligen DDR und kommen im milchigen Schwarz-Weiß daher. Wo früher mal Arbeiter ihrem Tagewerk nachgingen, herrscht jetzt Depression. Zwei Skinmänner schießen Leuchtkugeln in diese Ödnis. Der Dokumentarfilmer Andreas Voigt hat ein Jahr lang die Lebenswege einiger „radikaler“ Jugendlicher aus Leipzig begleitet. Die meisten von ihnen kannte er schon durch frühere Arbeiten. Die meisten sind Neonazis, reden zumindest so, als wären sie welche. Sie schmücken ihre Wohnungen mit Hitlerbildern, Gasmasken und stehen auf „fun“.

Einfühlsam, mit stets sanfter Stimme befragt Andreas Voigt seine Helden zu ihrem Leben. Junge, geschundene Jungsgesichter, antworten ihm. Dirk Zimmermann zum Beispiel, der für ein Jahr im Knast sitzt, weil er eine „Auseinandersetzung“ mit den Bewohnern eines Flüchtlingsheims hatte (d.h. er hatte eins überfallen). Der „harte“ Neonazi sieht sich als Nonkonformist. Als „Otto Normalverbraucher“ will er nicht enden, doch über seine „Ideale“ möchte er eher aus juristischen Gründen nicht sprechen, auch wenn er bejaht, daß sie auf die Vernichtung von Andersdenkenden hinauslaufen würde. Dabei – das ist einer der interessanteren Aspekte des Films – wiederholt er übrigens darwinistische Credos, die nicht nur von Rechtsradikalen vertreten werden.

Ein anderer Nazi-Skin, den Voigt eine Weile bei seiner Arbeit als freundlichen Kaufhausweihnachtsmann zeigt, lächelt häufig und bestreitet, jemals auf Ausländer geschossen zu haben, während er dem Filmemacher in einer trostlosen Küche die Funktion seiner Waffe demonstriert. Er ist viel allein und bespricht deshalb oft mit seinem Kanarienvogel all seine Probleme. „Wie bist du denn so aufgewachsen?“ fragt Voigt. Die Kindheit war hart. In einem Heim für Schwererziehbare war er gewesen. Arbeitslos ist er nun und sagt: „Das lassen wir uns nicht mehr bieten“; „Die ist in mir drin, die Gewalt“, und es sei auch „ganz natürlich“, daß man sie gegen Schwächere verwende, denn an die Politiker komme man ja „leider“ nicht heran.

Ein tierliebender Sympathieträger, der – nicht nur nazitypisch – den Verlust von Gemeinschaft, Solidarität beklagt, und „daß keine Einheit herrscht unter den Menschen“, um danach dem Filmemacher seinen Song, in dem es heißt „Ausländer rein in's Gas“ mit einem Grinsen, das irgendwo zwischen Bäh! und Provokation spielt, vorzuspielen. Betroffen fragt Voigt, ob ein solcher Text nicht „antihuman“ sei, bringt Einwände hervor, als ihm der Neonazi erklärt, daß keine Juden je vergast wurden, um irgendwann recht skandalträchtig zu konzedieren, daß es doch ganz egal sei, „ob 60.000 oder sechs Millionen“ umgebracht worden seien.

„Papa“, sozusagen der positive Held des Films, ein kleines Kraftpaket und Sharp-Skin. Er war links, bevor er „wegen einer großen persönlichen Enttäuschung“ kurzzeitig zu den Rechten überlief, um inzwischen wieder bei den Antifa-Glatzen gelandet zu sein. Eigentlich, so sagt er, wollten die Linken und die Rechten ja das Gleiche: Soziale Gerechtigkeit, Miteinander etc., wenn die Rechten nur nicht rassistisch wären, wäre ja alles in Ordnung. So jedoch prügelt er sich oft mit seinen Gegnern. „Papa“ spricht den schönsten Satz des Films: „Wenn es ein Gesetz gäbe, daß man um neun in's Bett gehen würde, würden meine Eltern um halb acht in's Bett gehen.“

Andreas Voigt bringt in seinem sehr schön von Sebastian Richter („Stau“) fotografierten Film (in dem nie die Sonne scheint) sehr viel Verständnis auf für die Nöte und Sorgen seiner Helden. Das ist sicher verdienstvoll, und wer meint, es sei irgendetwas gewonnen, wenn man jeden rechtsradikalen Jugendlichen in den Knast steckt ist recht naiv. Junge Rechtsradikale sind natürlich auch ein Produkt der Gesellschaft, in der sie und wir leben. Ihnen jedoch, wie Voigt es zumindest nahelegt, die Verantwortung für ihr Tun abzusprechen, erscheint obszön, zumal der Regisseur sich nicht für die Opfer seiner Jungs zu interessieren scheint: Ausländer, Schwule im Stadtpark etc. Deutsche Filme über Neonazis gibt es mittlerweile en masse; Filme über Opfer so gut wie keine. Bei Filmen über sozialgeschädigte jugendliche Vergewaltiger wäre das Geschrei sicher groß, denn da sind die Opfer auch deutsche Frauen.

Die Fragen, die „Glaube, Liebe, Hoffnung“ stellt, sind so allgemein, als handle es sich bei den Jungs nur um bedauernswerte Opfer. Man wünscht sich, daß Voigt die Gefahr, das gute Einvernehmen zu riskieren, auf sich genommen und zum Beispiel mal gefragt hätte, wie denn das „Schwulenklatschen“ so sei.

Die Neonazis erscheinen als Opfer einer Gesellschaft, die sie nicht braucht. Die eigentlichen Täter, so suggeriert der Filmemacher, sind Typen wie der westdeutsche Unternehmer Herr Schneider, der mit seiner Frau regelmäßig zwischen Frankfurt und Leipzig hin- und herpendelt und da und dort ein Haus kauft — was Voigt angewidert beobachtet.

Dieser Herr Schneider ist ein kapitalistisches Bilderbuchschwein: widerwärtig, arrogant, jovial. Doch selbst wenn diese Schneiders wahrscheinlich keine Probleme damit hätten, Neonazis als Bodyguards für sich arbeiten zu lassen – einige der von Voigt Interviewten haben inzwischen Jobs bei diversen Sicherheitsdiensten gefunden –, so würde man vermutlich einer Horde von ihnen leichteren Herzens begegnen als denen, die die „Drecksarbeit“ machen. Detlef Kuhlbrodt

Andreas Voigt: „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Deutschland 1994, 90 Minuten