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Altparteien die gelbe Karte zeigen

■ Stadtpartei gründet Bezirksgruppen / Guter Wille als Motiv

Ein 29jähriger Mathematik-Student will die Diskussion beenden, die kaum begonnen hat. Die Bezirksgruppe Steglitz der Berliner Stadtpartei (BSP) hat sich an diesem Dienstag abend gegründet und will klären, ob sie das Volksbegehren unterstützen soll, mit dem Studenten das Abgeordnetenhaus auflösen wollen. „Hat doch eh jeder eine festgeformte Meinung“ – der Student will eilig abstimmen. Doch die Debatte der zwei Dutzend Gäste in der Steglitzer Kneipe „Preußen-Casino“ geht erst los. Mehr innerparteiliche Demokratie will Stadtpartei-Vorsitzender Bernd Ramm, und diesmal ist der Anspruch Wirklichkeit. 14 Mitglieder zählt die neue Bezirksgruppe, der Gründungen in Tempelhof, Schöneberg und Wedding vorausgegangen sind. Welche politischen Vorstellungen die beiden Studenten, die Pils trinken, der Polizeibeamte mit seinem Leitz-Ordner oder etwa die kaufmännische Assistentin, die nur zuhört, hegen, ist schwer auszumachen. Eine Beamtin, die später zur Vorsitzenden gewählt wird, will Fraueninteressen fördern, ihr Gegenkandidat zusehen, „auf einen grünen Zweig zu kommen“.

Landesvorsitzender Ramm bleibt beim Formulieren programmatischer Vorstellungen ähnlich unkonkret. Der 53jährige Nuklearmediziner war jahrelang SPD-Mitglied und will nun besser machen, was Altparteien falsch machen. Für die Belange von Krankenschwestern und Straßenkehrern müsse sich stärker eingesetzt werden. Daß die Hamburger Statt Partei sich entgegen ihres Wahlversprechens nun doch dem Koalitionszwang unterwerfe, „darf uns nicht passieren“, warnt er die neue Bezirksgruppe. Mit den Hamburgern, die ursprünglich Ausländer aus ihrer Partei fernhalten wollten, will Ramm nicht verwechselt werden. Er ist stolz darauf, daß von seinen derzeit 250 Mitgliedern 100 Frauen sind. Nur ein Dutzend gehörte früher einer Partei an.

Der Versammlungsleiter, ein bärtiger Mittdreißiger, kandidiert als Stellvertreter, weil er nicht mehr am Stammtisch motzen mag. Die Stadtpartei hat sich im Oktober vergangenen Jahres gegründet, und das mag der Grund sein, daß vor konkreten Vorstellungen vor allem der gute Wille überwiegt. Auf Landesebene arbeiten Fachgruppen zu Themen wie Verkehr, Wohnen, Wirtschaft, Ausländer, Soziales und Kultur. Bis April soll aus ihren Positionen ein Programm erwachsen.

Das Volksbegehren der Studenten geht am Ende glatt durch. Auch wenn Ramm nicht an die Auflösung des Abgeordnetenhauses glaubt, müsse den Etablierten „die gelbe Karte“ gezeigt werden. Dirk Wildt

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