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Clintons undankbarer Gast aus Haiti

■ Aristide hält sich nicht an die Regeln der US-Regierung

Washington (taz) – Exilanten, die offen ihre Gastgeber kritisieren, riskieren mehr als nur den Vorwurf der Undankbarkeit. Die Beziehungen zwischen der US-Regierung und dem haitianischen Präsidenten Jean-Bertrande Aristide sind seit längerem abgekühlt, doch nun hat Aristide erstmals offen Kritik an der Clinton-Regierung geübt und sich den diplomatischen Vermittlungsversuchen der USA verweigert. Letzte Woche prangerte Aristide die Flüchtlingspolitik der USA an, die entgegen Clintons Wahlkampfversprechen weiterhin darauf beruht, haitianische Boat people auf See abzufangen und nach Haiti zurückzubringen. Die USA, so Aristide, hätten eine „schwimmende Berliner Mauer“ errichtet, um zu verhindern, daß seine Landsleute vor jener Diktatur fliehen, die ihn im September 1991 gestürzt hatte. Im US-Außenministerium reagierte man höchst indigniert, schließlich erwartet man von Aristide, daß er weiterhin seinen Einfluß in Haiti geltend macht, um Haitianer von der Flucht abzuhalten. Der „einzig wahre Weg, um das Leiden und damit die Fluchtursachen in Haiti zu beseitigen“, erklärte Sprecher Michael McCurry, sei eine „Lösung der politischen Krise“.

Die allerdings scheint weiter denn je entfernt. Einen „neuen“ Vorstoß einiger haitianischer Parlamentsabgeordneter, beklatscht und belobigt von der Clinton-Administration, lehnte Aristide Anfang dieser Woche ab. Nach dem jüngsten Plan hätte er einen neuen Premierminister ernennen sollen, der wiederum mit dem Parlament ein Gesetz zur Amnestie der Putschisten und zur Trennung von Militär und Polizei hätte erarbeiten sollen. Dann, so das Szenario, würden die Initiatoren des Putsches von der politischen Bühne verschwinden: Der derzeitige Machthaber Generalleutnant Raoul Cedras, würde zurücktreten; der derzeitige Polizeichef von Port-au- Prince, Michel Francois, würde auf einen anderen Posten versetzt.

Für Aristide ist dieser Plan aus zweierlei Gründen inakzeptabel: Erstens wird kein Rückkehrdatum für ihn festgesetzt; zweitens ist die Prognose für das Verhalten des Militärs nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre Wunschdenken. Mehrmals haben Cedras und Francois festgesetzte Daten für ihren Rücktritt verstreichen lassen und die Arbeit Robert Malvals, des ersten von Aristide ernannten Premierministers, durch Terror und politische Morde faktisch unmöglich gemacht. Nach dem Rücktritt Malvals will Aristide erst dann einen Nachfolger ernennen, „wenn die Führer des Militärputsches zurückgetreten sind“.

Aristide fordert von den USA eine Verschärfung des höchst lückenhaften Embargos gegen sein Land. Die USA sträuben sich, weil sie davon US-Firmen ausnehmen möchten, die in Haiti Arbeiter für einen Tageslohn von 1,40 Dollar schuften lasten. Darüber hinaus hat Aristide die UNO gebeten, die haitianischen Flüchtlinge unter internationalen Schutz zu stellen – ein klarer Affront gegen seine Gastgeber. Andrea Böhm

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