: Rekordstrafen für Krisenbranche
EU-Kommission verteilt an die europäischen Stahlunternehmen Strafzettel wegen Kartellabsprachen und verpaßt ihnen eine Standpauke wegen zögernden Kapazitätsabbaus ■ Aus Brüssel Alois Berger
Die Europäische Kommission hat gegen 16 europäische Stahlfirmen Bußgelder wegen unerlaubter Preis- und Marktabsprachen verhängt. Mit insgesamt 200 Millionen Mark ist es das bisher größte Strafverfahren dieser Art. Betroffen sind auch fünf deutsche Stahlwerke von Thyssen bis Saarstahl.
Die Kommission legt großen Wert auf die Feststellung, daß die Strafmandate rein zufällig mit der Standpauke zusammenfielen, die sich die privaten Stahlmanager von den Brüsseler Wettbewerbs- und Industriekommissaren van Miert und Bangemann anhören mußten. Wie Bangemann gestern erklärte, legten die Kommissare den Herren von der Schwerindustrie nahe, spätestens bis April konkrete Stillegungspläne für überzählige Kapazitäten vorzulegen. Ansonsten werde die Kommission ihre Zusage zurückziehen, Stillegungen zu unterstützen. Brüssel hat Zuschüsse in Höhe von über 800 Millionen Mark für die soziale Abferderung in Aussicht gestellt.
Allerdings schränkte Bangemann ein, daß bereits vereinbarte Hilfen für Sozialpläne ebensowenig gestrichen würden wie der „Außenschutz“ des europäischen Stahlmarktes, also protektionistische Maßnahmen gegen Billiganbieter der Dritten Welt. Wo konkret wieviel gekürzt werden soll, führte Bangemann nicht näher aus.
Bisher gibt es lediglich Zusagen der Stahlhersteller über einen Kapazitätsabbau bei Walzstahl um höchstens 17 Millionen Tonnen, von den sechs Millionen noch sehr unsicher sind. Die Kommission hält einen Abbau von 19 bis 25 Millionen Tonnen für nötig, wenn die Branche vom Subventionstropf gelöst werden soll.
Unklar blieb, welche Auswirkungen die verhängten Geldstrafen auf die Wirtschaftlichkeit der Stahlfirmen haben werden. Wettbewerbskommissar Karel van Miert wies den Einwand zurück, daß die Branche sich in einer schwierigen Phase befinde, in der auch einmal ungewöhnliche Wege gegangen werden müßten. Das geahndete unsportliche Verhalten habe sich vorwiegend zwischen 1988 und 1992 abgespielt, als die Stahlbetriebe ihre Umsätze verdoppelt und „beträchtliche Gewinne erwirtschaftet haben“.
Die Strafen, die nach EG-Recht bis zu 10 Prozent des Umsatzes betragen können, wurden in unterschiedlicher Höhe nach Schwere der Vergehen verhängt. British Steel, das fast 60 Millionen Mark zahlen muß, gehört demnach zu den Drahtziehern der illegalen Abmachungen. Thyssen wurde als ausgewiesener Wiederholungstäter besonders hervorgehoben.
Die Kartelle hätten durch Preis- und Mengenabsprachen den Markt für Stahlträger unter sich aufgeteilt und dadurch die Verbraucher erheblich geschädigt. Ganz oben auf der Liste der bestraften Unternehmen stehen neben British Steel und Thyssen Krupp-Hoesch, Usinor und Preussag, die sich in jüngster Zeit als Gegner der staatlichen Subventionen und Verfechter der Marktkräfte hervortaten.
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