„Erkennt: es war nie anders!“

■ Regisseurin Christine Mielitz und Dirigent Markus Stenz über Henzes „Die Bassariden“

Hans Werner Henzes Veroperung des von Euripides in „Die Bakchen“ dramatisierten antiken Mythenstoffes hätte am Sonntag eigentlich in der Inszenierung von Ruth Berghaus und dem Bühnenbild von Erich Wonder Premiere haben sollen. Da die Kosten ihres Inszenierungskonzeptes von über eine Million Mark die Hamburg Oper dazu bewogen, das ursprünglich geplante Team wieder auszuladen, übernahm Christine Mielitz, Operspielleiterin an der Komischen Oper in Berlin, die Regie. Mielitz' Augenmerk galt dabei dem Versuch, die antike Tragödie in unsere so tragödiendurchtränkte Gegenwart zu transferieren, ohne dabei Gruselbilder der Tagesschau bemühen zu müssen. „Tagespolitik gehört in die Zeitung! Das meinte sicher auch Henze. Kunst ist dazu da, die Dinge einzuschmelzen. Verpassen Sie dieses Moment der Verdichtung, der Einschmelzung, verpassen Sie auch die Tagespolitik,“ so die Regisseurin.

Hans Werner Henze schrieb „Die Bassariden“ 1965 als künstlerische Antwort auf das Deutschland der Nachkriegs-Restauration, dem er 1953 den Rücken kehrte und nach Italien auswanderte. Was sich hinter dem Geflecht aus mythologischen Begebenheiten, dem Kampf zwischen dem Gott Dionysos und dem Menschen Pentheus, der mit der Zerstückelung des thebischen Königs durch die Mainaden unter Führung seiner Mutter Agaue endet, verbergen kann, nennt die Regisseurin Verkettung von drei Zeiten: kosmische, lineare (politische) und Lebenszeit. Ein Konzept zyklischer Prozesse, das die Menschheit in ein kompliziertes Spannungsverhält-nis zueinander setzt.

Wie sah Henze seine Zeit und wie definierte er sich als Künstler, als er die Bassariden komponierte?

Es ging ihm hier um Zyklen der Erhebungen und der Revolution, dargestellt als Dionysos-Prinzip, sowie alle Zyklen der Ordnung, das Pentheus-Prinzip. Außerdem verarbeitete Henze in den Bassariden sein eigenes Außenseitertum. Hier spiegelt sich seine dionysische Natur: Das Erotische, das Sexuelle und das Politische wider. Es war der Aufbruch in jeder Beziehung.“

Waren die Bassariden für Henze ein existentieller Kampf?

Henze hat die Freiheit in einem noch nebulösen Stadium gesucht, dann dieses Werk geschrieben und entdeckt, daß dieser Aufbruch nur dann eine wirkliche Existenzberechtigung hat, wenn er sich am Ordnungsprinzip reibt.

Gibt es eine Utopie?

Ist nicht dieses Ideal einer Balance von Chaos und Ordnung der Motor aller Künste? Henze formt in seinem Werk diese Utopie aus. Kunst kann im Menschen einen ungeheuren Sehnsuchtsschub in Gang setzen. Sie hat etwas enorm Aktivierendes und produziert die Utopie, daß es einmal anders sein könnte. Das scheint mir das Wesen der Kunst überhaupt zu sein.

Welche Zeichen und Symbole verwendet die Inszenierung?

„Da singt zum Beispiel der Chor „Hüll dich in Blatt und Baum“ und wir haben überlegt, was das heißen könnte. Für mich ist das nichts anderes als „Geh in die Vermummung“. Natürlich klingt das aktuell, aber ist es nicht auch ein ewiges Zeichen für den Untergrund? Und da ist die Hand der Semele. Sie wird als leuchtende Prothese die Inszenierung durchwandern. Es könnte ein Parteiabzeichen oder sonst etwas sein. Pentheus und Dionysos stehen sich wie Brüder gegenüber und tauschen Argumente aus. Beide gehen auf den Berg Kytheron, der nichts anders als der Ort des Widerstandes ist. Dionysos braucht den Sieg, daher entlarvt er Pentheus als Spion. Am Ende ist es ein Mord. Dionysos, der Alternative, hat die Macht und damit die Gestalt des Pentheus übernommen. Es werden bloß die Identitäten getauscht. Bis wieder ein neuer Aufruhr kommt.

Welche Botschaft soll der Zuschauer mit nach Hause nehmen?

Vielleicht: Erkennt es endlich, es war nie anders! Und eins vor allem: Das deutsche Problem ist bei weitem nicht ein Problem dieser Welt. Denkt nicht eurer Untergang ist der Weltuntergang!“

Die musikalische Leitung der Premiere liegt in den Händen des 1965 geborenen Markus Stenz. Mithin gehört er auch schon zu einem auserlesenen Kreis junger Konzert- und Operndirigenten, die mit für den Klassikbetrieb ungewohnter Vitalität und Frische arbeiten können und sich mit Herzblut der zeitgenössischen Musik widmen. Stenz, der seit der Premiere der Henze-Oper „Das verratene Meer“ (1990) ein feststehender Begriff in Sachen Henze ist, kann als frischgekürter Chefdirigent der London Sinfonietta und künstlerischer Leiter des Cantiere Internazionale D'Arte in Montepulciano dem neuen Klang zu internationaler Reputation verhelfen.

Herr Stenz, was reizt sie daran, sich auf die Musik Hans Werner Henzes einzulassen?

An der Musik von Henze interessiert mich, daß sie Instinktmusik ist, quasi aus dem Bauch heraus geschrieben und erlebbar ist. Wann immer man in die Partitur blickt, entdeckt man 12-Ton Prinzipien, über die sich aber die Musik hinwegsetzt. Die Musik läßt die Konstruktion, die ihr zugrunde liegt eigentlich hinter sich. Wie bei allen Herzpartituren, zeichnen sich auch „Die Bassariden“ durch eine große Detailfreude aus und gerade das macht sie zur interessantesten Oper von Henze. Sie ist diejenige, die am meisten erlebbar ist. Die Musik ist so nah am szenischen Geschehen, daß wie Henze sagte, man in allen Personen gelitten und gelebt hat.

So wenig wie Henze sich letztlich als politischer Künstler etablieren konnte und wollte, so wenig verstehen sich „Die Bassariden“ als politische Manifestation. Vielmehr geht es um elementare Kräfte im Menschen, um Triebe und um konkurrierende Prinzipien.“

Sven Ahnert

Premiere: Sonntag, 19 Uhr