„Was haben diese Leute bloß gegen mich?“

■ Stadionausbau, Kritik am Präsidenten, sportliche und andere Perspektiven: St. Pauli-Präsident Heinz Weisener und Vize Christian Hinzpeter im taz-Gespräch

taz: Herr Weisener, Sie haben Millionen in den FC St. Pauli gesteckt. Was begeistert eigentlich den saturierten Bürger Heinz Weisener an diesem „Verein der kleinen Leute“?

Heinz Weisener: Ich fühle mich beim FC St. Pauli gut aufgehoben, weil ich dort Dinge erhalten kann. Und erhalten ist schwieriger als neu aufbauen. Hier sind es Menschen, die ihren Verein lieben, und kein Licht und kein Spiel mehr im Stadion sehen würden, wenn ich mich nicht engagieren würde. Sonst würde ich es mit Sicherheit nicht tun. Die Idee wäre mir fremd, mich einem Verein wie dem HSV oder so zur Verfügung zu stellen.

Ihr Engagement wird aber von manchen kritisch gesehen.

Weisener: Es gibt aus meiner Sicht Negativentwicklungen im und um Stadion, es gibt in letzter Zeit einiges, das mich befremdet. Seit 12, 13 Jahren habe ich sehr viel Zeit in den Verein investiert und nun muß ich in Fan-Zeitungen lesen, daß ich es nur aus Eitelkeit oder was auch immer getan habe. Natürlich ist es das Privileg derer, die besonders leidenschaftlich sind, mehr zu fordern, als momentan der Fall ist.

Doch bei manchen Dingen frage ich mich: Wenn alles so schlecht ist, warum gehen die dann noch ins Stadion? Und: Was haben diese Leute gegen mich? Sie kennen mich überhaupt nicht. Oder haben sie etwa generell etwas gegen Menschen, die über andere finanzielle Mittel verfügen und diese dem Verein zur Verfügung stellen?

Das klingt, als fühlten Sie sich ungeliebt?

Weisener: Ich kann auch ohne Liebe meiner Verantwortung gerecht werden. Das muß ich im Berufsleben sehr oft. Man wird ja eh nur für gut befunden, wenn Erfolge da sind. Die Mißerfolge darf man dann alleine tragen. Nein, nicht Liebe, aber mindestens Respekt.

Wann waren sie denn zuletzt in der Gegengerade oder Nordkurve bei den Fans?

Weisener: Ich habe, wie ja bekannt ist, sehr viele Repräsentativaufgaben während eines Spiels. Es macht mir schon Spaß, mich in Richtung Gegengerade oder Nordtribüne zu bewegen und bei Auswärtsspielen begebe ich mich schon mal auf die Stehtraversen. Man soll mir da keine Berührungsängste unterstellen. Ich versteh ja jeden Einzelnen, auch wenn man mich kritisiert. Wenn man dabei allerdings nicht konstruktiv ist, kommt der Moment, an dem ich denke, das können wir auch ein bißchen anders haben.

Sie sind, obwohl wir was anderes gefragt haben, wieder auf das Thema gekommen. Scheint Sie ja sehr zu beschäftigen.

Weisener: Wenn mir der Verein wichtig ist, muß mir das wichtig sein.

Wer ist denn der Verein? Ist es Heinz Weisener, das Präsidium, die Mannschaft, die Fans oder alle zusammen? Und wer definiert das?

Weisener: Ich bin wirklich nur ein Teil des FC St. Pauli, und ich sehe mich auch so, selbst wenn ich vielleicht auch die Möglichkeit habe, relativ viel für den Verein zu tun. Ich glaube sehr deutlich gesagt zu haben, daß es das Phänomen FC St. Pauli ist, daß der Verein für alle liebensfähig ist und daß er allen am Herzen liegt und nicht nur einigen wenigen, die Kritik aus Prinzip hie und da mal üben. Mich stört die Tatsache, daß es nicht akzeptiert wird, daß es Menschen aus allen möglichen Richtungen gibt, die sich für St. Pauli einsetzen. Das wäre das Mindeste an Toleranz, das ich erwarten kann bei einem Verein, der sich selbst so definiert, daß er ein Zuhause für alle ist.

Herr Hinzpeter, wie war das Image des FC St. Pauli vor drei Jahren, wie ist es heute und wie wird es in drei Jahren sein?

Christian Hinzpeter: Ich hab mich vor sieben Jahren ins Präsidium wählen lassen, weil ich aus der Fan-Szene komme und so Belange der Anhänger in die Vorstandsarbeit mit einbringen kann. Und es ist zum Beispiel gelungen, einen Fanladen aufzubauen, den selbst der DFB inzwischen als vorbildlich ansieht, und ihn aus einer Abstellkammer Beim Grünen Jäger in einen Treffpunkt für die Anhänger des Vereins umzuwandeln, was er nun in seinem neuen Domizil in der Thadenstraße geworden ist...

Wir stellen die Frage gern noch einmal: Das Image...

Hinzpeter: Ich habe die Idee, daß sich die Sache weiter entwickelt zu einer Art Stadtteilzentrum. Auch andere Sachen, worüber jetzt der DFB diskutiert, wurden beim FC St. Pauli zuerst angedacht, etwa der Abbau der Zäune in den Stadien. Ebenso haben wir uns klar gegen das Verbot von Stehplätzen ausgesprochen, wie es FIFA und UEFA spätestens für 1999 planen. Ich wünsche mir als Image des FC St. Pauli das eines Stadtteilklubs, dessen Name mit Innovationen verbunden ist.

In drei, vier Jahren wird also am Millerntor eine Ware angeboten werden und sie suchen die Konsumenten, die sie kaufen?

Hinzpeter: Das ist natürlich eine Gratwanderung. Wir bieten ja etwas an: Nämlich Profi-Fußball, und Leute kommen und können zusehen. Aber ich sehe mehr: Wenn ich vor einem Spiel mitkriege, was um den Fanladen herum und in vielen Wohnungen in ganz Hamburg passiert, daß da Sonnabend morgens damit angefangen wird, zu zelebrieren „Wir gehen ins Stadion“ und eine echte Vorfreude herrscht, dann glaube ich nicht, daß sich das mit einer bloßen Ware erklären läßt.

Natürlich ist viel Geld im Spiel. Aber Ware und Konsument erklärt nicht das, was etwa nach jedem Spiel auf dem Kiez los ist. Wenn es etwa so schüttet, wie beim Spiel gegen Rostock, da entstehen Gefühle, die ich in anderen Stadien nur sehr bedingt vorfinde. Anderenortes herrscht von vornerein dieses Schlechtlaunige. Bei St. Pauli herrscht eine gewisse Gutlaunigkeit, auch wenn es auf dem Rasen gerade eben so läuft. Es muß ja nicht da unten Rasenschach zelebriert werden. Diese Stimmung gibt Möglichkeiten zur Identifikation, und das bleibt hoffentlich so.

Auffällig beim FC St. Pauli ist auch, daß trotz immer vollen Stadions die Kasse chronisch leer ist. Kann der Kiezclub nicht mit Geld umgehen?

Weisener: Von den 3 Millionen Mark, die wir etwa aus dem Punktspielbetrieb einnehmen, gehen allein 1,5 Millionen Mark für Reparaturen und Betriebskosten drauf. Diese Kosten wären bei einem modernen Stadion um die Hälfte niedriger. Zudem haben wir außerordentlich viele Stehplätze, die natürlich nicht so viel einbringen wie vernünftige Sitzplätze. Trotzdem wollen wir keinen einzigen Stehplatz abbauen.

Aber Sie wollen ein neues Stadion?

Weisener: Unser Stadion sieht karg und bescheiden aus. Doch diese Bescheidenheit zu erhalten, ist wesentlich teurer als gleich etwas Neues zu bauen. Zumal die Bausubstanz des Stadions so ist, daß für kleinste Reparaturen gleich mal ein paar Hunderttausend draufgehen. Mindestens eine Dreiviertel Million könnte man sparen, wenn wir etwas Moderneres hätten.

Wann wird denn das Heinz-Weisener-Stadion stehen?

Weisener: Ich werde bestimmt nicht darauf drängen, daß es meinen Namen erhält. Wir haben uns lange nicht mehr mit der Planung beschäftigt, weil die Liegenschaften rund um das alte Wilhelm-Koch-Stadion ungeklärt sind. Es gehört zwar alles der Stadt, aber für jedes Stück ist eine andere Behörde zuständig. Wenn wir ein neues Stadion bauen, dann eines für etwa 30.000 Zuschauer. Momentan ist es bei mir auch so, daß ich mich wegen der Kritik an meiner Person wenig motiviert fühle, etwas Neues aufzubauen.

Falls Sie sich doch noch motivieren können, wird das neue Stadion ein vielfach nutzbares „Sportdome“, das bereits vor drei Jahren zu einer heftigen Kontroverse mit Fans und Anwohnern führte?

Weisener: Wir wollen etwa 50 Millionen Mark investieren. Um schon allein die Kreditkosten wieder einzuspielen, brauchen wir etwa 20-30 andere Veranstaltungen im Jahr. Aber ich habe erkennen müssen, daß so etwas wie eine Vielzweckhalle mit Satellitenbauten – so wie das ehemals geplante Sportdome – Spekulanten anzieht, die die Bewohner des Stadtteils verdrängen könnten. Deshalb wird das geplante Stadion wesentlich kleiner.

Wann könnten denn die Fans im neuen Stadion Einweihung feiern?

Weisener: 1996 wäre der früheste Termin für die Fertigstellung.

Beim FC St. Pauli wird nun ja nicht nur mit Millionen jongliert, sondern es gibt auch Fußball. Glauben Sie, Herr Weisener, daß Sie die Mannschaft noch einmal durch ein Ultimatum an den Trainer motivieren können oder haben Sie diese Möglichkeit ausgereizt?

Weisener: Auch wenn es kurios ist, nach dem heftig kritisierten Ultimatum an den Trainer hat die Mannschaft 10:2 Punkte geholt und sich zumindest kämpferisch gesteigert – nicht unbedingt spielerisch. Aber man muß bei aller Euphorie realistisch bleiben und sagen: Der Aufstieg ist theoretisch möglich, setzt aber voraus, daß man viel Glück hat und auch klar sieht, daß noch etwa sechs, sieben Vereine sich die gleichen Hoffnungen wie der FC St. Pauli machen können.

Deshalb haben wir mit Marcus Marin eine Verstärkung für den Sturm geholt. Vom Aufstieg bis zum oberen Tabellendrittel ist alles möglich. Es wäre aber falsch, sich darauf festzulegen, dieses Jahrmüsse aufgestiegen werden.

Hinzpeter: Auffällig ist, daß ich das Wort Aufstieg wesentlich häufiger von der Mannschaft gehört habe als im Präsidium.

Ein St. Pauli-Spieler wird am Freitag abend beim ersten Heimspiel der Rückrunde gegen Homburg aus anderen Gründen im Mittelpunkt stehen: Manche Fans wollen gar ihre Dauerkarten zurückgeben, weil Dieter Schlindwein im Trainingslager den farbigen Brasilianer Leonardo Manzi als „Schwarze Sau“ bepöbelt hat. Ist der Fall Schlindwein für das Präsidium erledigt?

Weisener: Ein Teil dessen, was den Verein ausmacht, ist die Toleranz, die Ausländerfreundlichkeit. Da ist es unverantwortlich, wenn ein Spieler einem anderen solche Sachen an den Kopf wirft. Die Reaktion des Präsidiums war dementsprechend eindeutig: 5000 Mark Geldstrafe und eine Abmahnung wegen vereinsschädigenden Verhaltens.

Was Dieter Schlindwein gesagt hat, geht nicht an – zumal er der Kapitän ist. Ich kenne ihn seit Jahren und unterscheide genau, ob jemand rassistische Gedanken hat, und bisher war sein Verhalten auch in dieser Hinsicht untadelig. Aber sicherlich muß man damit rechnen, daß Teile der Fans ihm deutlich machen werden, was sie von seinem Verhalten denken.

Hinzpeter: Leo Manzi hat mir beteuert, daß er nie – im Gegensatz zu der Darstellung in einer Boulevardzeitung – mit „tränenerstickter Stimme“ gesagt hat, daß er Hamburg und diesen Verein deshalb verlassen will. Das mit der tränenerstickten Stimme klingt gut, weckt Emotionen. Vielleicht ist es auch so, daß es eine Boulevardzeitung so machen kann, ich kenne nicht die moralischen Prinzipien, die da eine Rolle...

Wir auch nicht.

Hinzpeter: ...aber ich habe mir von Leo bestätigen lassen, daß diese Sätze von ihm nie gefallen sind. Es kann auch nicht ansatzweise behauptet werden, daß ein Dieter Schlindwein nach der Unterredung wegen dieses Vorfalles mit einem „Grinsen“ die Geschäftsstelle verlassen habe, wie es dort zu lesen war. Schlindwein, mit 33 Jahren ein gestandener Fußballer und Mann, hat zitternd vor der Geschäftsstelle gestanden, dafür verbürge ich mich. Wenn man diese Hintergründe kennt, kann man auch unser Handeln in der Sache verstehen.

Fragen: Kai Rehländer

und Sven-Michael Veit