: Kissenschlacht in Findorff
■ Eine herrliche Kunstdebatte treibt die Bürger um: Soll ein bronzenes Sofakissen den schönen Stadtteil repräsentieren?
Wer den Findorffern immer noch eine gewisse Schlafmützigkeit nachsagt, der kennt die aufgeweckten Kunstkritiker im Stadtteil schlecht. Kaum ein Kunstprojekt für den „Öffentlichen Raum“ kommt da ohne längere Debatten durch. Eben noch schieden sich die Geister an der Laserprojektion, die seither über der Bürgerweide kunstvoll herumflunkert; schon geht's um nichts Geringeres als ein Sofakissen: Das soll, formschön in Bronze gegossen, auf dem neuen Paradoxe des Stadtteils prangen, an der frisch gepflasterten Kreuzung Hemmstraße/Münchner Straße. Der Beirat stimmte jetzt nach einer wild bewegten Diskussion mehrheitlich zu. Aber die Zweifler, sie lassen nicht ab: Ob hier nicht heimtückisch der Findorffer Verschlafenheit, der vermeintlichen, ein Denkmal gesetzt werde?
„Wenn sich die Leute aufregen“, sagt Künstler Thomas Recker, „passiert wenigstens was“. Dabei hatte alles so schön angefangen. Endlich war der lang versprochene Straßenrückbau im Findorffer Zentrum gelungen. Weniger Asphalt, dafür mehr Fuß- und Radweg, mehr Grün, und auch ein bißchen Kunst mocht's wohl sein. Schon schrieb das rührige Referat für „Kunst im öffentlichen Raum“ den passenden Wettbewerb aus, schon kamen die Modelle, und alsbald entschied sich die Fachjury – unter Beteiligung einer Findorffer Beirätin – für den Vorschlag des Künstlers Thomas Recker: ein Sofakissen, samt Kniff in der Mitte, wie aus Opas Bilderbuch gegossen; über zwei Meter groß und mitten auf dem Platz plaziert.
Das Referat aber lobte die Kissenkunst als „sanften Eingriff“ in die Umgebung. Was anderes, sagt der Künstler, sei freilich auch kaum drin gewesen: „Der Platz ist ja schon von vorne bis hinten möbliert.“
Da kennt er die übrigen Beiträge nicht. Die „Torsituation“ am neuen Platz erkennend, erdachten Reckers Kollegen monumentale Turmbauten, atemberaubende Trapezkonstruktionen bis zu 16 Metern Höhe, ja: ganze Karawanen von Kunstmobiliar, die über den kleinen, feinen Platz marschieren sollten. Damit aber nicht nur die Jury, sondern „die ganzen Findorffer“ sich über diese wunderbaren bzw. -samen Konzepte ihre Gedanken machen konnten, arrangierte das Ortsamt West eine ungewöhnliche Ausstellung. Und so sind die zehn prämierten Modelle derzeit direkt am Platz zur Schau gestellt – im alteingesessenen Textilhaus „Kindervater“. Dort liefern sie den Passanten Stoff für die schönsten Für- und Widerreden.
Nämlich: Daß ausgerechnet vor dem Hause „Kindervater“ (“Bettwaren, Jalousien, Gardinen“) ein Sofa(!)-Kissen ausgestellt werden soll – „das ist doch etwas grotesk!“, findet (u.a.) Werner Eisenach, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der SPD im Beirat Findorff. Dabei ist ihm das Motiv selbst eigentlich „ganz angenehm“, mit den ironischen Konnotationen „Richtung Loriot, Sofa, Kissen und so.“ Wenn's nur nicht so groß vor dem Bettenhaus prangte! Das ist zwar nicht an der Finanzierung des Kunstwerks beteiligt. Aber Eisenach argwöhnt: „Die werden das sicherlich in ihr Logo aufnehmen.“ Deshalb: eine glatte Enthaltung in der letzten Beirats-Abstimmung.
Auch weiß er von noch ärgeren Bedenken zu berichten. Einige Bürger hätten das Kissen samt Kniff gar als „sexistisch“ verurteilt. Warum, das entzieht sich selbst Eisenachs Imaginationskraft. „Vielleicht aufgrund der Zipfel...“
Gleichviel: Schwerere Einwände vermochten insbesondere die Grünen vortragen. „Findorff war immer so ein schlafender Stadtteil“, sagt Beirätin Angelika Kaukers, vor allem durch den gehobenen Altersdurchschnitt. Das habe sich längst geändert. Und nun soll kein Kunstwerk das alte Bild nochmal wachrufen: „Besonders für die älteren Menschen hier ist das eher übel“, und sowieso „eher daneben“. Also: glatte Gegenstimme.
Der Künstler freilich hatte es doch nur „liebevoll gemeint“. Schließlich ist Recker selbst in Findorff wohnhaft. Für die „Gute Stube“ des Stadtteils wollte er ein Zeichen setzen. „Das ist gar nicht so spießig gemeint“, sagt er; „aber man trägt so –ne spießige Seite doch auch in sich, und damit muß man umgehen können.“ Beiratsvorsteher August Kötter (CDU) springt bei: Er verstehe die milde Ironie des Kissens; Findorff sei ja auch keineswegs verschlafen, sondern „bestenfalls ein verträumter, schöner Stadtteil, in dem es sich nett leben läßt“ – so lauteten auch die Argumente einiger Geschäftsleute. Daher: glatte Zustimmung.
So spricht Kötter nun zufrieden: „Wir können als Findorffer gut leben mit dem Kissen“; zum Jahresende soll's am Platze sein. Und auch im Ortsamt stimmt man ein: „Genauso hab' ich's mir vorgestellt“ – das Debattieren nämlich. Künstler Recker ist ohnedies Trubel gewöhnt. „Wenn man Kunst im öffentlichen Raum macht, muß man als Künstler eben in die Bütt“, in die Beiratssitzung nämlich, „auch, wenn man da mal angepinkelt wird.“
Nach der letztlich positiven Abstimmung (7:4; 2 Enthaltungen) lädt er nun alle Findorffer ein, am Kunstwerk mitzuwirken. Erstens sollen sie ins Atelier in der Meißner Straße strömen, um beim finalen Kunstprozeß dabeizusein. Zweitens: Geschichten, Grüße, Bilder aus dem Stadtteil sollen her; die will der Künstler dann in den Kissenbezug ritzen und schlußendlich den Stadtteilbezug sicherstellen.
Die Diskussionen aber, sie mögen weitergehen. „Kunst, die man überhaupt nicht bemerkt, ist doch langweilig“, sagt Recker; „die Leute sollen sich ruhig mal –n bißchen daran reiben.“ Nur die Geschmacksfragen, die dürften gerne draußenbleiben: „Es hat doch jeder seine eigenen Vorstellungen von Kunst“, sagt Beiratssprecher August Kötter, „aber das nützt doch nichts.“ tom
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen