Die Schnapp- und Restewelt Von Claudia Kohlhase

In einem normalen Geschäft kann ja jeder einkaufen. Ein normales Geschäft ist eins, das an seine Kunden keine besonderen Anforderungen stellt.

Also beispielsweise ein Schreibwarengeschäft: da muß man sich gerade mal zwischen Radiergummiherzchen und kleinkarierten Katzenpostkarten entscheiden. Oder im Obstladen: überall nur Obst und weiter hinten Gemüse und der eine oder andere Pilz. Da weiß man doch schon, was man hat, bevor man einkauft. Dagegen ein Rest- und Sonderpostenladen bietet einem die ganze Welt, und das zum halben Preis! Ach, eine Schnapp- und Restewelt ist das hier, wie in Tausendundeiner Nacht, bloß am Tag. Aber Tag ist doch ganz gut, da sieht man die Preisschildchen besser, immer zwei: eins ist immer verschossen und so was von teuer, und eins ist immer neonrot und so was von günstig, daß die Ware darunter vor Scham in der Wühltheke versinkt und einem leid tun kann – hier so unter ihrem angeborenen und eventuell wahren Wert herumzuliegen! Und nur deshalb, weil keiner sie vorher haben wollte, bloß nachher, also jetzt, und das auch nur vielleicht. Dabei war man früher zum Beispiel mal Knüller bei Klingel im Katalog!

Strenggenommen sind die Dinge im Rest- und Sonderpostenladen Schadens- und Brandfälle. Noch strenger genommen sind die Dinge nicht besonders hübsch. Womit ich, Ehrenwort, nichts über ihre inneren Werte, nur etwas über die Form gesagt haben möchte. Nehmen wir mal die Neontrainingsanzüge aus Kunstfliegerseide: innerlich gar nicht häßlich, wenn bloß die Form nicht wäre oder, sagen wir, die Farbe. Oder die Porzellanschubkarrenhasen: gar nicht so unhübsch, wenn's nicht so enorm viele wären, schätzungsweise 532, und alle in Schäferhundkackegelb mit rosa Kunsthaarpony. Oder die Hundertschaften Uralt-Lavendel-Tüchlein: alle im Grunde richtig praktisch, wenn auch verblüffend stark abgeknabbert vom Zeitzahn. Oder die Damenslip-Flutwelle: alle Slips enorm formschön, wenn eben nicht bloß in Größe 50–52 und auch von der Feinrippsituation her sehr gewaltig. Nein, man darf die Ware nicht dafür verantwortlich machen: Was kann ein Brillenetui in Alligatoroptik dafür, daß es so schön ist? – Schönheit tut nun mal weh! Und auch 700 Puddingpulverpäckchen kann kein Mensch im Ernst vorwerfen, den Wasserschaden im Hafen prinzipiell heil überstanden zu haben: Nach dem ersten Schreck ist das Pulver ja wieder getrocknet! Und die Kerzen sind auch nur oben ein kleines bißchen angeschmolzen, untenrum fast gar nicht und an der Seite eigentlich überhaupt nicht.

Wer ganz enormes Glück hat, dem brennt grade irgendwo das Richtige an, also was er wirklich brauchen und dann gleich morgen sogar kaufen kann. Ansonsten ist im Rest- und Sonderpostenladen natürlich niemals vorrätig, was man benötigt. Im Gegenteil: Hier können wir endlich lernen, mit der Zeit zu brauchen, was wir nun mal gekauft haben. Und gekauft werden muß auf alle Fälle: zu übriggeblieben schaut von allen Seiten und Ecken das solideste Unglück. Erst wenn du als glücklicher Besitzer eines Hasenschubkarrens wieder nach Hause und also zur Besinnung kommst, dann weißt du, was du wirklich hast. Und zwar mit Kunsthaarpony.