■ Super-G: Blick nach oben
Lillehammer (taz) – Fünfeinhalb Minuten dauerte der Super-G, dann stand Markus Wasmeier an erster Stelle. Von da an schaute der 30jährige nur noch nach oben: gebannt, fixiert. Sollte das Unmögliche möglich werden? Seit seinem Weltmeistertitel 1985 im Riesenslalom in Bormio, den er als Nobody holte, blieb er sich selber treu – im Hinterherfahren von Medaillenrängen bei großen Meisterschaften. Nur 1987 konnte er mit einer WM-Bronzemedaille im Super-G an alte Leistungen anknüpfen. Doch war der dritte Platz damals eine Enttäuschung, jeder hatte ihn als Favoriten auf der Rechnung. Das Image vom Nervenbündel bestätigte Markus Wasmeier auch beim Auftakt in Kvitfjell – Platz 36 in der Abfahrt. Doch er behielt sein bayerisches Lächeln bei: „Man muß im Leben immer nach vorne schauen, das kapieren manche einfach net.“
Und so schaute er – nach oben. Er wartete. Lange, 40 bange Minuten lang. Zwischen Hoffen und Hadern: „Mist, dieser Fehler im Zieleinlauf, wenn der mich wie bei der WM in Crans Montana Gold kostet!“ „Wasi“, wie den lockeren Typ aus Schliersee alle kumpelhaft nennen, starrt auf die Läufer, die nach ihm die Piste in Kvitfjell hinunterheizen. Günter Mader, langsamer, Jan Einar Thorsen, fast eine Sekunde langsamer, Kjetil Andre Aamodt, vier Zehntel langsamer – Wasmeier reckt verhalten die Faust. Und schaut nach oben. Marc Girardelli, auch zu langsam, die Österreicher, die Schweizer, gestürzt oder abgeschlagen.
Auf dem Gesicht des Sunnyboys Wasmeier spiegelt sich vorsichtig die Sonne, die sich so lange versteckt hatte. Gold? Wirklich Gold? Gold! „Oh mei, hat sich dia ganze Oarbeit wirklich geloahnt?“ Neun Jahre warten auf diesen Moment. Nachdem er in Albertville in der Abfahrt als Vierter nur ganz knapp an seiner ersten olympischen Medaille vorbeigeschlittert ist. „I gloab's noch net“, wehrt er die ersten Gratulanten ab. „Wenn i woas g'lernt hab in moim Leben, dann des, daß man woarten können muaß.“ Und so wartet er. Derweil die Konkurrenten Komplimente verteilen.
Tommy Moe, der Überraschungsstar dieser Spiele: „Endlich. Der Markus ist einer, der diesen Sieg wirklich verdient.“ Sagt es, verdrückt seine Geburtstagstorte und freut sich über Silber. Oder Kjetil Andre Aamodt: „Der Markus ist ein Superläufer, ihm gönne ich das Gold, ihn darf man nicht abschreiben.“
Nahezu abgeschrieben hatte man den gelernten Lackierer in Deutschland. Gestürzt war er nicht nur schwer beim Weltcup 1987 in Furano (Japan), sondern auch in der Gunst der Sponsoren. Er, ein Typ, auf den der deutsche Sport und die Sponsoren abgefahren sind wie weiland nur noch auf Boris Becker. Das Problem von Markus Wasmeier ist das Problem des modernen Sports. „Wenn du keine Leistung zeigst, wird nicht mehr wahrgenommen, was du sagst“, sagt Jochen Behle, der mitreden kann über Hochs und Tiefs eines Sportlerlebens. Zu sagen hatte „Wasi“ immer viel. Nicht nur lockere Sprüche. Auch Nachdenkliches: über den Wahnsinn im Sport, den Geschwindigkeits-Irrsinn, die Angst eines Rennläufers, der um zwei Zentimeterchen an einer Querschnittslähmung vorbeischrammte. Nur registrierten es immer weniger. Wasmeier gründete eine Familie und realisierte: „Sport ist nicht der wichtigste Punkt in meinem Leben.“ Und jetzt: „Jetzt ist mein Glück vollkommen.“
Cornelia Heim
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