Offenkundige und nachweisbare Falschaussagen

Mit Anzeigen, staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und Anklageerhebungen fechten die ehemaligen Kontrahenten in den Prozessen um die Ermordung des Studenten Ulrich Schmücker eine neue Runde aus  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Die Mühlen der Berliner Justiz mahlen bisweilen langsam, jedoch nicht unbedingt gründlich. 33 Monate ermittelte Oberstaatsanwalt Matthias Priestoph gegen den ehemaligen Berliner Innensenator, Erich Pätzold (SPD), bis er im Spätsommer vergangenen Jahres Anklage wegen uneidlicher Falschaussage erhob. Am Mittwoch dieser Woche lehnte die zuständige 17. Strafkammer des Landgerichts jedoch die Eröffnung der Hauptverhandlung ab, weil ihr die Anklage zu dürftig erschien. Fünf Tage zuvor erhob ein anderer Staatsanwalt nach vierjähriger Ermittlung Anklage gegen den Leiter des Landesverwaltungsamtes, Hans-Jürgen Przytarski. Der ehemalige Staatsanwalt Przytarski wird sich ebenfalls vor der 17. Kammer wegen des Verdachts der eidlichen Falschaussage zu verantworten haben. Mittlerweile wird auch gegen Ankläger Priestoph ermittelt. Über den Vorwurf der Strafvereitelung im Amt wird zu gegebener Zeit die gleiche Kammer befinden.

Der gleiche Anfangsbuchstabe des Nachnamens und damit der gleiche gesetzliche Richter sind nicht das einzige, was Przytarski, Priestoph und Pätzold verbindet. Der berufliche Werdegang der drei ist auf gleichermaßen unterschiedlicher wie einschneidender Art mit einem vierten Namen verbunden – dem des Studenten und Verfassungsschutzmitarbeiters Ulrich Schmücker. Dessen Ermordung im Jahre 1974 durch ein Kommando „Schwarzer Juni“ führte zum längsten und umstrittensten Prozeß der bundesdeutschen Justizgeschichte. Dreimal wurde das Urteil vom Bundesgerichtshof kassiert, weil die Verquickungen des Berliner Verfassungsschutzes nicht hinreichend erhellt wurden, im vierten Durchgang wurde der Prozeß schließlich 1990 eingestellt. Das Gericht sah sich seinerzeit wegen einer Reihe von eklatanten Verfahrensfehlern und Rechtsverstößen nicht mehr in der Lage, die Wahrheit zu finden.

Rechtsbrüche im Schmücker-Prozeß

Zentraler Kritikpunkt der Vorsitzenden Richterin Tepperwien waren die „verbotenen Ermittlungsmethoden“ des Staatsanwaltes im ersten Durchgang des Schmücker- Verfahrens, Hans-Jürgen Przytarski. Zur gleichen Zeit, 1990, wurde auch die verbotene außergerichtliche Weitergabe von staatsanwaltschaftlichen Erkenntnissen an das Gericht im zweiten Durchgang des Verfahrens publik. Daran beteiligt war der seinerzeitige Anklagevertreter Matthias Priestoph. Erich Pätzold, der 1990 Innensenator der rot-grünen Koalition war, machte die Verfassungsschutzunterlagen, die diese Vorgänge belegten, der Öffentlichkeit zugänglich.

Pätzold zog sich damit den Groll des konservativen Flügels in der Berliner Staatsanwaltschaft, der P(olitischen)-Abteilung, zu und avancierte zum Feindbild par excellence der christdemokratischen Sicherheitspolitiker der Stadt. Mit vereinten Kräften brachten beide das Ermittlungsverfahren gegen den SPD-Politiker ins Rollen. In der Folge erlebt die Berliner Justiz zur Zeit einen Epilog des Schmücker-Verfahrens, in den im zunehmenden Maße die ehemaligen Protagonisten wieder einbezogen werden. So ermittelt, in Folge des Pätzold-Verfahrens, die Staatsanwaltschaft nun auch gegen ihren ehemaligen Kollegen Wolfgang Müllenbrock (CDU), neben Przytarski zweiter Kopf der Anklage im Schmücker-Verfahren, der Mitte der 80er Jahre zum Staatssekretär in der Innenverwaltung avancierte. Ihm werden ebenso uneidliche Falschaussagen zur Last gelegt wie seinem Parteifreund Eike Lancelle, der mittlerweile wieder Innenstaatssekretär ist, und dem CDU-Abgeordneten Klaus- Hermann Wienhold.

Letzterer hatte im Herbst 1990, es war Wahlkampfzeit, die Anzeige gegen Pätzold erstattet. Als Beleg für dessen vermeintliche Falschaussage diente ihm eine eher nebensächliche Ausführung, die der SPD-Senator vor dem Schmücker-Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses gemacht hatte. Belegt wurde diese Version mit den Ausführungen der beiden CDU-Staatssekretäre vor dem Untersuchungsausschuß. Daß mit Priestoph ein Staatsanwalt die Ermittlungen führte, der selber ins Schmücker-Verfahren unrühmlich involviert war, erfuhr Pätzold, nach eigenem Bekunden, erst 1992. Er reagierte mit einem Ablösungsbegehren, und, als diesem nicht stattgegeben wurde, mit Strafanzeigen gegen die beiden dienstaufsichtführenden Generalstaatsanwälte beim Land- und beim Kammergericht. Ihn empörte, daß seine Widersacher von der CDU unbehelligt blieben, obgleich Müllenbrock „offenkundig und nachweisbar falsche Aussagen“ gemacht habe. Und ihn empörte, daß die Justiz „in absoluter Einäugigkeit“ und „Verbohrtheit“ gegen ihn vorgehe, hingegen diejenigen, denen das Gericht im Schmücker-Verfahren Rechtsbrüche bescheinigt hatte – Müllenbrock und Przytarski –, straffrei ausgegangen seien, weil diese Rechtsbrüche mittlerweile, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, verjährt seien.

Selbst Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) mußte im nachhinein feststellen, daß es „klüger gewesen wäre“, zu vermeiden, daß Priestoph die Ermittlungen gegen Pätzold führt. Daß sie dies nicht verhindert hat, als sie davon Kenntnis erhielt, wirft ihr nicht nur Pätzold vor. Der Fachausschuß Sicherheit der Berliner SPD attackiert die Senatorin mittlerweile, weil sie sich „in politisch anfechtbarer Weise“ hinter die noch immer fortwirkende P-Abteilung gestellt habe. Diese erlebe, „in politisch höchst bedenklicher Weise, mit Billigung der Senatorin, wenn nicht gar auf ihre Initiative hin, eine Wiedergeburt“. Was ihr arge Rüffel der SPD einträgt, stärkt jedoch Limbachs Ansehen beim Koalitionspartner CDU und sorgt, so der bissige Spott einiger Parteifreunde, bei den Konservativen für die notwendige Akzeptanz, die sie für den von ihr angestrebten Posten der Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts braucht.

Ermittlungen auch gegen V-Mann Bodeux

Zwar steht Limbach nach wie vor zu ihrer Nichteinmischung in Priestophs Ermittlungen, doch behagt der SPD-Senatorin das öffentliche Bild einer einäugig agierenden Justiz keinesfalls. „Wir erwarten täglich die Abschlußverfügung des ermittelnden Staatsanwaltes im Przytarski-Verfahren“, ließ sie auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um das Pätzold-Verfahren verlauten. Die Ermittlungen gegen den Ex-Staatsanwalt, die bereits dreieinhalb Jahre vor sich hin dümpelten, bekamen daraufhin den nötigen Nachdruck, um zur Anklage zu reifen.

Przytarski wird jedoch nicht mehr für seine „verbotenen Ermittlungsmethoden“ belangt werden, nicht mehr dafür, daß er dem „Kronzeugen“ im Schmücker- Verfahren, Jürgen Bodeux, Vertraulichkeit für Aussagen zugesichert hat, mit denen dieser seine späteren Mitangeklagten belastete, obgleich Przytarski wußte, daß dieser selbst belastet war. Nur, daß er sich darüber keine Gedanken gemacht haben will, daß er damit gegen seine Pflichten als ermittelnder Beamter verstoße, wird ihm nun zum Verhängnis. Denn eine solche Bekundung, die er im vierten Durchgang des Schmücker-Verfahrens machte, sieht die Anklage als widerlegt an. Und damit ist für sie der Vorwurf des Meineides genauso begründet wie bei Przytarskis Erklärung vor Gericht, er habe nicht gewußt, daß es sich bei dem Waffenbeschaffer des „Schwarzen Juni“ um einen V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes handelte.

Wegen ähnlich fragwürdiger Bekundungen wird sich möglicherweise auch der Schmücker-Angeklagte wieder vor Gericht verantworten müssen, dem seine Aussagebereitschaft ein frühes Prozeßende bescherte. Auch gegen Bodeux wird mittlerweile wieder wegen Falschaussage ermittelt.

Trotz dieser massiven Vorwürfe, immerhin droht ihm ein Strafrahmen von einem bis zu fünf Jahren, schwebt noch immer die schützende christdemokratische Hand über Przytarski. Bereits zu Beginn der Großen Koalition wollten ihn die konservativen Sicherheitspolitiker wieder zum stellvertretenden Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz küren. Diesen Posten hatte er bereits Mitte der 80er Jahre inne, bis ihm seine Verstrickung in die damaligen Bauskandale zum Verhängnis wurde und er in der Chefetage des Landesverwaltungsamtes zwischengelagert wurde. Die Rückbeförderung scheiterte zwar am Widerstand des Koalitionspartners SPD, seitdem drängt die CDU jedoch auf einen Abteilungsleiterposten in der Innenverwaltung für ihren Vorzeigejuristen.

Zwar will Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) entgegen sonstiger Gepflogenheit zu Personalangelegenheiten „generell“ keine Stellung nehmen, doch hatte er noch vor kurzem bekundet, daß er sich bislang nicht veranlaßt sehe, wegen der Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Schmücker- Verfahren in irgendeiner Art und Weise gegen den Beamten Przytarski disziplinarisch vorzugehen.