: Im CDU-Shop glänzt nur das Schaufenster
Die Christdemokraten wollen sich auf dem Parteitag in Hamburg für den Wahlkampf fit machen / Nach 15 Jahren ein neues Grundsatzprogramm / Familienpolitik als Schwerpunkt ■ Aus Bonn Hans Monath
Die Chancen stehen schlecht. Zwar hat sich Kanzler Kohl von Umfragen öffentlich immer unbeeindruckt gezeigt. Aber auf seine Partei, deren Entartung zum „Kanzlerwahlverein“ Mitglieder in den vergangenen Monaten immer wieder beklagt haben, ist er angewiesen. So muß beim am Wochenende in Hamburg beginnenden Parteitag der CDU der berühmte „Ruck“ durch die Reihen gehen, denn Angst vor dem Verlust der Regierung oder des Mandats alleine reicht nicht mehr aus zur Mobilisierung.
Nach außen will die heruntergewirtschaftete Partei in dieser wichtigen Phase Geschlossenheit demonstrieren. Aber es geht auch noch um andere Signale. Für die Frauen in der CDU, die Jugend und die Reformer ist die Partei zunehmend unattraktiver geworden. In Hamburg geht es darum, ob sie sich mit ihren Themen durchsetzen können oder abgebügelt werden zugunsten eines: „Weiter so“. Die Wahlkämpfe 1994 sind „Mobilisierungswahlkämpfe“, wie auch der glücklose Parteigeschäftsführer Peter Hintze weiß, und dafür müssen die eigenen Leute motiviert werden.
Die Frauen in der CDU haben erleben müssen, wie im Zuge der Wiedervereinigung und der Rezession das Thema Gleichberechtigung in der Partei immer weiter in den Hintergrund gedrängt wurde. Bei der Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten für die Europa- und Bundestagswahl hat sich gezeigt, daß in der kommenden Legislaturperiode noch weniger Frauen in den CDU-Fraktionen sitzen werden als bisher. Vor diesem Hintergrund wird der Streit um einen Antrag brisant, der eine De-facto-Quote für Mandate und Ämter verlangt, ohne sie beim Namen zu nennen.
Spannend dürfte die Auseinandersetzung der verschiedenen Flügel um das neue Grundsatzprogramm der CDU werden, das letzte stammt von 1978. Die Politik im Superwahljahr 1994 wird das Programm kaum mehr beeinflussen. Nicht nur Vertreter des Reformerflügels bezeichneten den Entwurf als langweilig und kritisierten fehlenden Elan und mangelnde Gelegenheit zur ausführlichen Diskussion. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bemängelte, daß zwar viele moralisch inspirierte Grundaussagen gemacht werden, daß konkrete Schritte zu deren Umsetzung aber fehlen. Diese Ziele, so meinte er, würden „verbraucht, wenn man sie als Dekoration im Programm-Schaufenster verwendet, aber im Laden nichts anzubieten hat“.
Wichtige Zielsetzung des Programms ist der Kampf „gegen einen zu grenzenlosen Individualismus“ und gegen das Anspruchsdenken (CDU-Geschäftsführer Peter Hintze). Entsprechend soll der Sozialstaat dahingehend umgebaut werden, daß Leistungen auf die „wirklich Hilfsbedürftigen konzentriert“ werden – der „schlanke Staat“ gilt als Leitziel.
Während das Handelsblatt lobte, der Chef der Programmkommission, Reinhard Göhner, führe einen „Abwehrkampf gegen die Begehrlichkeiten nach staatlichen sozialen Wohltaten“, waren andere von der ideologischen Unterfütterung des laufenden und künftigen Sozialabbaus weniger begeistert: Mehr als 50 Änderungsanträge will die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft in Hamburg einbringen.
Im Vergleich zum Programm von 1978, so die Sozialausschüsse, sei der neue Entwurf ein Rückschritt. Die Marktgläubigkeit dominiere, und die Sozialpolitik werde vor allem als Belastung verstanden – ein Trend, den die CDA für „rückwärtsgewandt und gefährlich“ hält.
Interessante Vorschläge macht das Programm für die Familienpolitik, die zu einem Schwerpunkt der CDU-Arbeit werden soll. Danach soll der Familienlastenausgleich zu einem „Familienleistungsausgleich“ fortentwickelt werden und die Kindererziehung stärker als bisher bei der späteren Rentenleistung berücksichtigt werden. Durch ein Familiensplitting anstelle des geltenden Ehegattensplittings will die CDU mittel- und langfristig Familien mit Kindern stärker als bisher steuerlich entlasten. Auf Abgrenzung wird nicht verzichtet: Nichteheliche Partnerschaften werden zwar anerkannt, rechtlich aber nicht gleichgestellt. Und von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ist in dem ganzen rund 80seitigen Programm nicht einmal die Rede.
Schon im Vorfeld ist heftig darüber gestritten worden, daß die „Ökologische und Soziale Marktwirtschaft“ den bisherigen Leitbegriff „Soziale Marktwirtschaft“ ablösen soll. Eine „Synthese von Ökonomie und Ökologie“ stellen sich die CDU-Oberen da vor. Die Unternehmer schreckt die Aussicht auf die Grenzen ihres Expansionsdranges und die Sozialausschüsse die Verwässerung des sozialen Leitziels, die sie in der Aufwertung der Ökologie sehen.
Glaubt man der Analyse des Programms, dann steht es schlimm um die deutsche Gesellschaft: Da wird geklagt über soziale Kälte und Entsolidarisierung, Egoismus und Vereinsamung, Besitzstandsdenken und Ellenbogenmentalität. Zur Beschreibung der Mißstände aber fehlt die Ursachenforschung. Daß Kommissionschef Reinhard Göhner wieder einmal die „Pädagogik der 68er“ für Egoismus und fehlenden Gemeinsinn verantwortlich macht, ist allerdings kein Ersatz für notwendige Ursachenforschung.
Die Analyse aber müßte auch nach den Folgen von bald zwölf Jahren CDU-Regierung in Bonn fragen. So verweist das Programm schon auf den zu erwartenden Wahlkampf, der nach einem Wort des Hamburger Politologen Joachim Raschke ein „Als-ob-Wahlkampf“ sein wird: ein Wahlkampf, der so tut, als ob eben nicht die CDU regiere.
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