Gestatten, Hase, ich weiß alles

Drei bis vier Millionen Menschen in der Bundesrepublik sind heillos verschuldet – ein lukratives Geschäft nicht nur für Kredithaie. Erinnerungsagenturen sollen den zahlungssäumigen Schuldnern auf die Sprünge helfen.

Was Schulden betrifft, ist Burkhard Hell eine echte Kapazität. Er selbst steht mit 800.000 Mark in der Kreide und hat einen Offenbarungseid hinter sich. Doch an Ideen mangelt es dem 32jährigen aus Berlin-Marzahn nicht. „Warum soll ein Alkoholiker keine Kneipe aufmachen“, fragte sich der findige Geschäftsmann. Und beschloß, sein Know-how lukrativ umzusetzen. Er eröffnete eine sogenannte „Erinnerungsagentur“. Deren Ziel: dem Gedächtnis von Schuldnern auf die Sprünge helfen. Seither sehen säumige Zahler rosaroten Zeiten entgegen. Denn Hell läßt die Hasen los. Seine Angestellten hoppeln den Zahlungsunwilligen auf Schritt und Tritt hinterher – im rosaroten Hasenkostüm mit Stummelschwanz und Hängeohren. „Eigentlich sollten die Löffel stehen, aber dann paßt der Hase nicht mehr ins Auto.“

Man merkt, die Sache ist durchdacht. Sieben Webpelzkostüme, Telefon und Fax sind alles, in was Hell investieren mußte für seine mobilen Pranger. Und ein paar Inserate in Anzeigenblättern. „Sie haben Außenstände? Ihre Schuldner schieben sich Ihre Mahnungen hinter den Spiegel und feixen sich eins? Mit uns können Sie zu ihrem Geld kommen: Der Schuldenhoppel ist da.“

Auf die Hasen ist Verlaß. Pünktlich um sechs Uhr in der Früh taucht der Mümmelmann in der Plattenbausiedlung in Frankfurt/Oder auf und heftet sein Hasenauge auf das Haus Nummer 12. Sein Opfer: ein grauhaariger Mann um die Fünfzig, schlank, fährt einen großen Jeep. Hasemann weiß gar nicht, wen er genau sucht. Denn er hat weder Foto noch Autonummer von seinem Opfer. Lediglich eine äußerst dürftige Personenbeschreibung hat sein Boss ihm mit auf den Weg gegeben. Im Haus Nummer 12 wohnen acht Parteien. Doch Hasemann Bernd, der im Inneren des Kostüms friert, ist das egal. Sein Bier ist es schließlich nicht, wenn ein Falscher an den Pranger kommt. Hells auch nicht: Er läßt seine Auftraggeber eine eidesstattliche Versicherung unterschreiben, daß es sich wirklich um einen Schuldner handelt. Damit, so meint er, sei er rechtlich aus dem Schneider.

Angst, eine hinter die Löffel zu bekommen, hat der Hase nicht. „Darüber mach ich mir keine Gedanken. Wann auch – er wurde erst am Abend zuvor in die Hasennummer eingewiesen. Eigentlich ist er Schriftsetzer, wurde jedoch arbeitslos. So hatte er sich auf ein Inserat von Hell gemeldet, der Männer für eine außergewöhnliche Tätigkeit suchte. „Ich hab' das erst für einen Aprilscherz gehalten“, sagt Bernd. Nach drei Bier beschloß man, sich gegenseitig zu vertrauen, auch ohne schriftlich fixierten Arbeitsvertrag. Bernd wurde instruiert, das Kostüm übergeben. Seine Arbeitsanweisung: „Du gehst vors Haus, guckst, wer auf den Jeep zugeht, und läufst ihm nach. Wo er ist, bist auch du. Fährt er weg, fährst du nach. Geht er ins Geschäft, bleibst du davor stehen.“ So lange, bis das Opfer ihn anspricht. Dann überreicht der Hoppler eine Visitenkarte von Hells Firma „Schuldenhoppel“ oder direkt vom Gläubiger mit der Aufforderung, dort anzurufen. Dannach ist der Job erledigt.

„Auf keinen Fall darfst du ihn ansprechen“, schärft Hell seinem Angestellten ein. Aus gutem Grund: Das könnte als Nötigung aufgefaßt werden, oder als Belästigung.

Doch wer kann jemandem verbieten, hinter einem anderen herzulaufen? Und das Tragen eines Hasenkostüms ist zwar eigenwillig, aber straffrei. Schließlich: So ein lustiger Hase kann nicht als Bedrohung angelastet werden. „Wir nötigen niemanden, wir erinnern lediglich.“ Hätte Hell ein normales Inkasso-Unternehmen, würde er den strengen Regeln des Amtsgerichts unterliegen. Doch eben das ist der Trick: „Eine Erinnerungsagentur ist ein normaler Dienstleistungsbetrieb.“ Und damit erlaubnisfrei. „Gestern erst hat so ein Typ vom Gewerbeamt angerufen und sagte was von sittenwidrig und Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Dem habe ich gesagt: Was wollen Sie eigentlich? Nennen Sie mir ein Gesetz, das das verbietet.“

Tatsächlich gibt es bislang kaum eine Möglichkeit, sich vor dem rosaroten Rufmord zu schützen. Dem Berliner Amtsrichter Baldshum sind die Hände gebunden: „Wenn es kein Inkasso-Unternehmen ist, habe ich keinen Zugriff.“

Auch die Polizei ist machtlos. Pressesprecherin Schubert vom Berliner Polizeipräsidium: „Man kann eine Streife anrufen, die die Personalien des Hasen aufnehmen kann, mehr nicht.“

Für Sven Gärtner vom „Arbeitskreis Neue Armut“ ist dies ein unhaltbarer Zustand – zumal sich diese Art von Geschäftsidee durchzusetzten beginnt: Hell kann sich vor Aufträgen kaum retten. Und eine andere Erinnerungsagentur, der „Schwarze Mann“, besitzt bereits mehrere Filialen im ganzen Bundesgebiet. „Wir haben eine Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung unlauterer Inkasso- Methoden gegründet und gegen den ,Schwarzen Mann‘ geklagt, aber erfolglos“, sagt Gärtner. Die Klage wurde vom Landgericht Berlin abgewiesen.

Ein Skandal, findet Gärtner. Für ihn erfüllen diese Prangermethoden Nötigungstatbestände und verstoßen eklatant gegen das persönliche Selbstbestimmungsrecht. Wer kontrolliert, wie die Agenturen mit den Daten potentieller Schuldner umgehen? Noch schweigt die für Datenschutz zuständige Senatsinnenverwaltung Berlin. Der Trick mit den Erinnerungsagenturen setzt sämtliche Kontrollinstanzen außer Kraft.

„Bis gerichtlich was passiert, hab ich längst den Sack zu“, feixt Hell. Natürlich weiß er um die Peinlichkeit, die Belästigung. Aber immerhin habe die Sache auch eine soziale Komponente: „Wenn ein Schuldner nicht zahlt, geht eine kleine Firma vielleicht pleite, Unschuldige verlieren ihren Job.“ So läßt der Retter unzähliger Arbeitsplätze weiterhoppeln, für 250 Mark pro Einsatz plus Spesen. Hell arbeitet ausschließlich mit freien Mitarbeitern: Studenten, Arbeitslose, Nebenberufler. Festangestellte Hasen gibt es ebensowenig wie weibliche: „Ein Mann kann im Zweifel schon mal einen Schlag wegstecken.“

Meist jedoch ist der Job weniger anstrengend. Stundenlang bibbert Bernd in eisiger Kälte. „Da kommen ja nur Frauen aus dem Haus“, jammert er. Schließlich, um 8.30 Uhr, sichtet er das vermeintliche Opfer. Ein älterer Mann, schlank, mit grauen Haaren tritt aus der Haustür.

Bernds Nerven gehen durch. Ganz Hasenfuß, flüchtet er um die Ecke. Dort sammelt er allen Rammlermut zusammen und schleicht sich wieder an. Schüchtern steht er bei dem Mann, der in aller Seelenruhe sein Auto packt. Leider handelt es sich um keinen Jeep. Egal, findet der Hase, vielleicht hat der ja das Auto gewechselt. Auch die Tatsache, daß der Wagen auf einen Ort im Erzgebirge zugelassen ist, irritiert ihn nicht. „Vielleicht hat er dort auch eine Wohnung.“ Allzu viele Vielleichts, aber Bernd ist entschlossen. Schließlich ist der Moment da. Der Mann, offenbar gerührt von der Hasenaufmachung seines Beobachters, spricht ihn an. „Kalt heute“, grinst er freundlich. Das Gespräch ist eröffnet. Der Mann, so erfährt der Hase, fährt heim ins Erzgebirge. Heim ins Erzgebirge? Sollte es nicht ein Geschäftsmann aus Frankfurt/Oder sein? Egal. „Da hab ich was für Sie“, sagt Bernd, übergibt die Karte, springt ins Auto und braust überglücklich davon.

Verblüfft starrt der Mann auf die Visitenkarte. „Ich hab keine Ahnung, was das soll“, sagt er. „Ich glaube, der macht Werbung für eine Firma.“ Die Firma ist der Auftraggeber Siefert Gaststättenbetriebe mit Sitz in Berlin. „Wir haben dreimal gemahnt, bevor wir an Schuldenhoppel herantraten.“ Warum sie nicht den Gerichtsvollzieher einschalten? „Das kostet Geld und dauert zu lange.“

Doch so ganz zufrieden ist der Auftraggeber nicht. Tags drauf hat sich ihr Schuldner noch immer nicht gemeldet. Schon spielt Firma Siefert mit dem Gedanken, den Hasen nochmals hoppeln zu lassen. Arbeitsbeschaffer Burkhard Hell darf sich die Hände reiben, und auch der Hase freut sich. Denn die Sache ist auch für ihn finanziell ausbaufähig. Hell rät seinem freien Mitarbeiter: „Das nächste Mal gehst du noch schön Essen. Auf Spesen natürlich.“ Michaela Schießl