„Vom Hip-Hopper die Mütze...“

■ Musikjournalist, Privatforscher und DJ Günther Jacob lädt zur Agit-Pop-Lesung ins Kino

„In bestimmten Situationen kann der Groove auch einmal nebensächlich werden, und Pop löst sich in Wissen und Kritik auf“, lautet das Credo des Hamburger Musik-Journalisten und DJs Günther Jacob. An seinem jüngsten Buch Agit-Pop. Schwarze Musik und weiße Hörer des 43jährigen „Privatforschers“ scheiden sich die Geister. Für die einen preßt er mit pseudo-akademischer Rhetorik den Saft aus der „black music“, für andere schaffen seine an Marx und Foucault geschulten Kritiken erst Transparenz und Verständnis als Voraussetzung für Genuß. Heute abend hält der „funky marxist“ eine „Agit-Pop-Lesung“ im Alabama-Kino auf Kampnagel, anschließend geben die Filme Burning An Illusion und Babylon (beide London/GB ca. 1978) einen Rückblick auf die Zeit, in der Punk und Reggae als zwei scheinbar unvereinbare Welten aufeinanderstießen.

taz: Welches Bild haben Schwarze in unserer Gesellschaft?

Günter Jacob: Auf einer kulturellen Ebene ist „schwarz“ relativ positiv besetzt. Man könnte sogar soweit gehen, daß das einzige, was schwarze Jugendliche an kulturellem Kapital in Europa haben, ihr Körper ist. Dem gegenüber steht ein gängiger Rassismus. Wenn man „Rassismus-Charts“ anfertigen würde, dann wäre der Afrikaner ganz oben, als der am wenigsten erwünschte Ausländer. Dem schwarzen Covergirl, das in den hippen Metropolen allpräsent ist, steht ein Rassismus des absolut anderen, des Nicht-Weißen gegenüber. Die Anwesenheit des stilisierten Körpers mit einer realen Abwesenheit ist vergleichbar mit dem Modell, das auf Frauen in der patriarchalischen Kultur angewendet wird - eine weibliche Allpräsenz, verbunden mit einer sozialen Abwesenheit in wichtigen Positionen.

Was ist der Reiz für die Söhne und Töchter des deutschen Mittelstandes, Hip-Hop zu hören und vor allem zu diskutieren?

Hip-Hop hört sich heute anders an als 1983: Wir haben es mit einer weltweiten Renaissance des Nationalen zu tun. Überall tauchen Völker auf, die plötzlich ihre Unabhängigkeit anstreben. In den USA hat man noch zusätzlich eine ungeheure innere Spaltung in Minoritäten - wie man bei den Bürgermeisterwahlen in New York gesehen hat, bei der die Konflikte zwischen den Minoritäten dazu führten, daß die Rechten gewonnen haben.

Hip-Hop wird bei uns als Sprachrohr für eine Minderheit wahrgenommen und bietet als Modell für andere Minderheiten und europäische Subkulturen, die sich selbst als Minderheiten definieren, starke Anknüpfungspunkte. Subkulturelle Minderheiten lösen aber lediglich Bruchstücke aus der importierten Kultur, um sie für die eigene Kultur zu benutzen.

Subkulturen versuchten immer schon, sich von attraktiven Minderheiten dissidente Anteile zu nehmen. Von den Hip-Hoppern die Mütze, von den Rastas die coole Haltung usw.. Diese Art der Inbesitznahme verlangt aber, daß das Fremde auch fremd bleibt, denn sonst verliert es seine Attraktivität. Man will es im Fremdsein festschreiben. Gleichzeitig findet, wie bei Mathematikern, die einen Bruch gleichnamig machen, eine falsche Reihenbildung statt: Schwarze, Schwule, Punks, S-Bahn-Surfer. Unter dem Bruchstrich steht Subkultur. In Wirklichkeit ist ein Punk aber eine freiwillige Minderheit. Du kannst heute Punk sein und dir morgen einen Anzug anziehen; Schwarze sind immer per Hautfarbe erkennbar.

In „Agit Pop“ heißt es, die schwarze Rasse sei eine weiße Konstruktion, um nebensächliche Unterschiede zu betonen. Was meinst du damit?

Man muß unterscheiden zwischen zwei Konzepten. Einmal die Abstammungsgemeinschaft, die sich in Aussprüchen wie „brother and sister“ äußert. Dieses Konzept zielt auf die afro-amerikanische community als eine soziale Realität ab, die man nicht leugnen kann. Zum anderen die vom weißen Rassisten provozierte Selbstverteidigungs- oder Solidargemeinschaft der Schwarzen im Abwehrkampf. Unter dem Druck des weißen Rassismus wurde eine schwarze Gemeinschaft als Rasse gebildet.

Eine „rassistische Falle“?

Nach 200 Jahren „Rassifizierung“ entstehen Strukturen über Wohngebiete und Sprecher. Ein Teil der Sprecher entwickelt eine Ideologie, bei der in Vergessenheit gerät, wie es zu dieser Gemeinschaft kam. Aus der Notwendigkeit, den inneren Zusammenhalt herzustellen - auch angesichts der sozialen Ausdifferenzierung in arm und reich, verbunden mit einer Tendenz auseinanderzudriften -, entsteht mit dem „Wir sind ein Volk, eine Rasse“ eine übergreifende Ideologie. Damit sind die Schwarzen in die rassistische Falle der weißen Unterdrücker getappt, die ja schon immer behaupteten, daß Schwarze eine Rasse seien. Genauso wie Horkheimer meint, daß die Juden als Rasse erst von den Nazis in den KZs wahrgemacht wurden, werden im Fall der Black Community diejenigen bestätigt, die die Macht hatten, ihre Behauptung zu vollstrecken. Eine „Wahrheit“ die natürlich abgebaut werden muß. Und zwar nicht so wie die Anhänger der multikulturellen Gesellschaft, die die Existenz von schwarzer und weißer Rasse anerkennen und damit an der Behauptung weiterstricken, daß es sich um zwei sich gegenüberstehende Rassen handelt.

Fragen: Volker Marquardt

Heute im Alabama, 22.30 Uhr