Der Arendt unwürdig

■ Henryk M. Broder und Martin Bauer im Gespräch über Essay von Hanna Arendt

Hannah Arendt ist „in“ - eine posthume Anerkennung widerfährt der deutschen Jüdin zur Zeit in ihrem Heimatland, welches sie 1933 verlassen mußte. Ihre historisch und philosophisch trennscharfen Analysen werden bei der Diskussion um Totalitarismustheorien und bei der Debatte über die Zivilgesellschaft herangezogen; nach ihr werden Forschungszentren und sogar ICE-Züge benannt.

Das Literaturhaus beraumte am Donnerstag einen Abend an, der den 1950 verfassten Essay „Besuch in Deutschland“ zum Thema haben sollte. Geladen waren Henryk M. Broder, Publizist und agent provocateur der Linken, sowie Martin Bauer, der für die Neuausgabe des Arendt-Essays verantwortliche Lektor des Rotbuch-Verlages.

Man war gespannt, inwieweit es möglich wäre, Arendts ob der deutschen Geschichtsverdrängung distanzierten und auch stellenweise entsetzten, aber nie zynischen Essay als Folie zu benutzen, die heutige Situation in Deutschland zu beschreiben. Doch die von Elisabeth Schwarz gelesenen Auszüge aus dem Essay blieben das Highlight. Die „Diskussion“ erschöpfte sich darin, daß Martin Bauer gutgemeinte Stichworte einwarf, die Broder Gelegenheit boten, seine Sottisen über deutsche Befindlichkeiten nach 1989 abzulassen. Hannah Arendt hatte dabei keine Chance. Was Broder bot, waren dem aufmerksamen Zeitungsleser vertraute Statements über die DDR, Rechts-extremismus, ein bißchen Jugoslawien, Seitenhiebe auf die Friedensbewegung mit dem Argument, sie wäre mitschuldig am Jugoslawien-Krieg, weil es ihr nicht gelänge, die deutsche Waffenindustrie in den Konkurs zu treiben. Einzelne Versatzstücke - wie die von Arendt seinerzeit in Deutschland konstatierte Haltung, Realität auf bloße Möglichkeit zu reduzieren, um damit der Wirklichkeit zu entfliehen und sie sogar abzustreiten - griff Broder heraus und preßte sie mit selbstverliebter Emphase in sein Schema. Vor den publizistisch plattgemachten Versatzstücken Broderscher Selbstdarstellung mußten natürlich Komplexität und Tiefgang auf der Strecke bleiben.

Arendts subtilen Text benutzte er nur als Plattform für seine populistischen Zynismen, gegen die sich Arendt sicher empört hätte. Den Gipfel des Zynismus erklomm Broder, indem er - das hat er sich von Arendt abgeguckt - ständig moralische Kategorien wie „Anstand“ und „gesunden Menschenverstand“ bemühte. Nur, bei Arendt werden diese hehren Worte aus der Analyse heraus stimmig. Bei Broder wirken sie wie Verkaufstaktik.

Zweifellos hatte die Veranstaltung einen gewissen Unterhaltungs-wert. Und ein linksliberaler Bildungsbürger läßt sich ja gern mal verdächtigen, auch er wäre der Solidarität der Eliten anheimgefallen und hätte im DDR-Unrechtsstaat kräftig mitgemischt. Aber dafür Hannah Arendt zu funktionalisieren ist Etikettenschwindel und nicht anständig. Birgit Maaß