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Noch zehn Jahre im Wohnwagen?

■ Die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien und das Nato-Ultimatum: Kaum Hoffnung auf baldiges Kriegsende / „Ob meine Heimat nach der Aufteilung noch bosnisch ist?“ Von Kaija Kutter

Nordbosnien im Volkspark. Auf dem Tisch im Büro des Flüchtlingscamps liegt eine handzettelgroße Kopie der Landkarte. Der Betreuer Vidan Janjic nimmt einen Kugelschreiber zur Hand: „Dieser kleine Teil dort oben wird von Moslems und Kroaten verteidigt“. Der breite Streifen darunter, Nordbosnien, sei „ethnisch gesäubert“ und nur noch von Serben bewohnt.

Die 150 Menschen, die seit zwei Jahren im Schatten der Flutlichtmasten des Volksparkstadions leben, kommen aus dieser Gegend, größtenteils aus der Kleinstadt Mionica. Es gibt eine Tasse Kaffee für die Journalistin, die gekommen ist, um zu fragen, wie Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien über das Ultimatum der Nato denken. Achselzucken. „Ich hoffe, daß was passiert, aber ich glaube nicht daran“, sagt Jasmin Smajic, ein junger Bosnier. „Die serbische Seite ist sich sicher, daß die Nato nicht ernst macht“. Ob es nicht auch besser so sei? Nein. Und wenn Menschen von den Bomben getroffen werden? „Die Stellungen sind weit ab von den Dörfern.“ Man bezieht Informationen vom Satelliten-TV.

„Für die Bürger von Sarajewo erreicht man vielleicht etwas“, entgegnet Vidan Janjic. „Aber die Frage ist doch, was bedeutet dies für die anderen Teile Bosniens. Bedeutet dies nicht nur eine Verlagerung der Kämpfe?“

Eine Befürchtung, wie wir sie dieser Tage allerorten auf der Straße von Bürgerkriegsflüchtlingen zu hören bekommen. „Für die Nato-Aktion ist es zu spät“, sagt ein junger Bosnier, der bei der Caritas-Zentrale in der Koppel um Geld ansteht. „Wenn die wirklich bomben, werden auch unschuldige Menschen ihr Leben verlieren“, sagt ein älterer Mann. „Die Serben werden sich rächen und woanders Krieg machen.“

Aber was dann? Man müßte eine richtige Intervention machen mit 100.000 Blauhelmen, sagt ein Mann. „Aber kann man denn verlangen, daß die Engländer und Franzosen ihre Männer für uns in den Krieg schicken?“ fragt sein Gegenüber. Einerseits – andererseits. Flüchtlinge sind nicht klüger als Politiker und Journalisten. Viele lächeln nur, sagen gar nichts. Ausländerbehörde, Caritas, Arbeitsamt, immer nur anstehen, und wenn da einer fragt, ist das auch wie Behörde. Der Leiter der Geldvergabestelle der Caritas verbietet gar die Fragerei: „Das bringt mir zuviel Unruhe hier herein.“

Zurück zum Volkspark. Von der Weltpolitik kommen wir viel zu schnell zur Stadtpolitik, zu den Existenzsorgen, die die rund 10.000 in Hamburg lebenden Bürgerkriegsflüchtlinge drücken und die zugleich mit den Ereignissen 1500 Kilometer weiter südöstlich verwoben sind. Die Paßfrage zum Beispiel. Bosnien ist zwei Jahre weit weg. Inzwischen hat der gelernte Chemieingenieur Jasmin Smajic seitenweise Duldungsverlängerungen in seinem alten jugoslawischen Paß. Duldungsverlängerungen sind hübsche bierdeckelgroße, blau und rot gemusterte Marken mit kleinen, runden Holografien als Siegel, die in der grellen Wintersonne glänzen. „Mal habe ich einen Monat Duldung bekommen, mal drei Monate. Mal steht drin, ich darf Hamburg verlassen, mal nicht“, regt sich der 27jährige auf. „Nun ist der Paß bald voll. Was soll ich machen?“ Ein alter Mann, der mit ihm ab drei Uhr morgens vor der Ausländerbehörde anstand, habe gar nur für sieben Tage eine Duldung bekommen. „Was soll diese Willkür?“ Ein sicherer Aufenthaltsstatus wäre gut, bis der Krieg zuende ist.

So aber bekommt Smajic immer nur die Erlaubnis für Putzjobs. „Toiletten reinigen, Flure reinigen, Büroräume reinigen, ich bin Experte für Reinigungsarbeiten.“ Smajic schiebt einen imaginären Besen durch den Raum, es sieht lustig aus. Wenn es so weitergeht, habe er sein Fachwissen bald vergessen.

Sie vermissen eine „konstruktive Politik“ gegenüber den Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, heißt es in einem Situationsbericht von Caritas und Arbeiterwohlfahrt. „Manchmal fühle ich mich wie ein Schwein, das einfach nur gefüttert wird und nichts tut“, sagt Jasmin Smajic traurig.

Eine längere Aufenthaltsgenehmigung wäre der Schlüssel für die Lösung einer ganzen Kette existenzieller Sorgen. Es wäre möglich, eine längerfristige Arbeitserlaubnis und einen richtigen Job zu bekommen, Geld zu verdienen, eine Wohnung zu suchen und aus den Wohnwagen auszuziehen, die für vierköpfige Familien einfach viel zu klitzeklein sind: hinten ein Bett, vorne eine umklappbare Sofaecke, auf der die Schwiegermutter sitzt, die eigentlich mit einer fremden Frau in einem anderen Wagen wohnt. Ihr Mann ist im Krieg gefallen, und für eine alte Frau alleine gibt es keinen Wagen.

„Wir haben Verständnis für die Wohnungsnot in Hamburg“, sagt der Betreuer Vidan Janjic. Aber der zweite Winter in den dünnwandigen Blechkisten, das sei schon hart. Eine Form der Unterbringung, die noch vor den Schiffen und Containerdörfern die schlechteste ist. Wenn es draußen matschig ist, fahren die Kinder mit dem Fahrrad zum Klo.

Dagegen wirkt der aus zwei Containern zusammengesetzte Büroraum luxuriös. Die Fenster zu drei Seiten geben den Blick auf die Eingangsgitter des Volksparkstadions frei. Sieben Meter Luftlinie, es sei nie etwas bei einem Fußballspiel passiert, berichtet Janjic. Für bosnische Flüchtlinge hätten auch rechte Jugendliche Verständnis. Als das Camp noch neu war, organisierte die mit der Bewachung beauftragte Polizei Zuschauerplätze für die Kinder im Stadion. Selbstredend schwärmt die Camp-Jugend jetzt für den HSV.

„Wann ist der Krieg zuende?“ mischt sich ein Mann ein, den seine grauen Haare älter erscheinen lassen als er ist und der eine Jacke mit zu kurzen Ärmeln trägt. Eine rhetorische Frage. Auch der Mann bei der Ausländerpolizei habe keine Antwort für ihn gehabt. Dabei wolle er, Suad Brkic, nur die Gewißheit, daß er bis zum Ende des Krieges bleiben kann. „Wir haben Todesangst.“

Doch der Sachbearbeiter in der Amsinckstraße hat ihm vor drei Wochen seine Papiere einfach weggenommen. Suad Brkics Problem ist kein Einzelfall, er ist vor zwei Jahren als Kontigent-Flüchtling nach Hamburg gekommen. Frau und Kinder bekamen einen Ausweisersatz, er selbst hatte noch einen kroatischen Fremdenpaß. Nun ist die Ausländerbehörde bestrebt, alle bosnischen Flüchtlinge mit einem bosnischen Nationalpaß zu versorgen.

Suad Brkic will das aber nicht. „Wer sagt mir denn, daß meine Heimat nach der Aufteilung noch bosnisch ist?“ fragt der gelernte Elektroingenieur. Bevor er sich für eine Partei entscheidet, will er warten, in wessen Hand sich sein Heimatort befindet. Außerdem seien die 1500 Mark, die er für neue Pässe an die bosnische Botschaft zahlen müßte, eine Unterstützung der moslemischen Kriegspartei.

Weil er keine gültigen Papiere hat, bekommt Brkic seit zwei Wochen auch nicht die Sozialhilfe von der Caritas, 10 Mark am Tag, die eigentlich jedem Bürgerkriegsflüchtling zustehen.

Auch Jasmin Smajic möchte seinen alten jugoslawischen Paß behalten. „Ich will nach Hause gehen, wann ich es will. Und nicht wenn ein Herr Izetbegovic, Milosevic oder Helmut Kohl es wollen.“ Denn als jemand, der nicht bei der Armee war, könne er auch nicht in moslemisches Gebiet zurück. „In meinem eigenen Staat bin ich auch Flüchtling.“

All jenen, die sich einen kroatischen Paß besorgt haben, droht ab Mai die „schrittweise Rückführung“. Wer in den Genuß des Abschiebestopps für Bosnier kommen will, so argumentiert die Ausländerbehörde, solle sich eben auch einen bosnischen Nationalpaß besorgen.

„Können Sie mir helfen?“, fragt Suad Brkic. Mit dem Sozialarbeiter Vidan Janjic ist er tags zuvor zum Verwaltungsge-richt gegangen, um eine „einstweilige Anordnung“ für die Aushändigung eines Ersatzausweises zu beantragen. Mit dem Antrag, so hat er erfahren, könne er dann bei der Caritas vorstellig werden und um Geld fragen.

Es ist drei Uhr nachmittags. Aus den Wohnwägelchen kommen ältere Frauen, ein Kopftuch um, einen kleinen Teppich in der Hand. Für kurze Zeit wird der Camp-Kindergarten zur Gebetshalle umfunktioniert. Ob er auch Moslem sei. Suad Brkic macht eine abwehrende Handbewegung: Er sei nie sonderlich religiös gewesen. „Serbe, Kroate, Moslem, das hat nie eine große Rolle gespielt“. Das Leben habe gut funktioniert, bis die Serben angefangen hätten zu selektieren. „Ich glaube, daß dort, wo wir herkommen, ein Zusammenleben noch möglich wäre“, sagt Vidan Janjic. Hier in Hamburg sei das Leben wie früher in Bosnien, wohnten die Angehörigen verschiedener Ethnien in den Camps friedlich zusammen.

„Ich glaube, daß der Krieg noch zehn Jahre weitergeht“, sagt Suad Brkic resigniert. „Zehn Jahre im Wohnwagen, das ist zu lang.“ Er wird dort wohnen bleiben, fürs erste. Täglich kommen immer noch soviele Flüchtlinge aus Bosnien, daß die Sozialbehörde auch eigentlich zur Schließung vorgesehene Containerdörfer mit ihnen belegt. Allein 2000 wohnen in Hotels, je rund 150 in weiteren Wohnwagendörfern in Poppenbüttel, Duvenstedt und Eimsbüttel.

Ob sie was gehört hätten von den Menschen aus Bosnien? Ja, ein Freund habe ihm aus Zentralbosnien geschrieben. „Dort herrscht Hunger. Ein Kilo Mehl kostet dort 15 Mark, ein Liter Öl 25 Mark“, berichtet Suad Brkic. Aber aus dem nur noch von Serben bewohnten Nordbosnien hat er nichts gehört. Jasmin hat vor einem Monat seinen Ex-Freund Mionica angerufen. Er nennt ihn betont „Ex“, weil sein Stiefvater und sein Schwager durch die Hand der Serben umkamen. Trotzdem, wenn er Geld über hat und es einen Weg gibt, schickt er ihm Pakete mit Mehl.

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