: Über Landespolitik will niemand reden
■ Die Landes-FDP spürt Gegenwind aus Bonn
Jürgen Trittin sei der Schönhuber von links, sagt FDP-Spitzenkandidat Stefan Diekwisch bei Tempo 180 am Steuer seines schwarzen BMW. Der grüne Minister betreibe eine provozierende Aufkündigung des Grundkonsenses. Aus seiner Abneigung gegen den niedersächsischen Europaminister macht er keinen Hehl. Erschrocken von seinen harschen Worten gegenüber Trittin fügt er dann aber hinzu, daß es auch bei den Grünen vernünftige Leute gebe.
Aus Bonn bläst den niedersächsischen Liberalen Gegenwind ins Gesicht. Möllemann, Magdeburg und die Berliner Friseurrechnung seien Gründe für die Politikverdrossenheit. „Die Wahlkämpfe in diesem Jahr entscheiden über die Glaubwürdigkeit der Politik“, sagt der 47jährige. Von verbalen Tiefschlägen und Schlammschlachten hält er nichts. Der promovierte Volkswirt kritisiert auch seine eigene Partei und versucht, der Niedersachsen-FDP ein zuverlässiges und solides Image zu geben und landespolitische Themen in den Vordergrund des FDP-Wahlkampfes zu stellen.
Ortswechsel: Die FDP in Celle hat Diekwisch zu einer Veranstaltung geladen. 20 Menschen fast ausschließlich Männer sind erschienen. „Die Honoratioren der Stadt“, weiß der FDP-Kreisvorsitzende stolz zu berichten. Diekwisch muß im noblen Celler Tor mit leckeren Käse- und Roastbeefschnittchen konkurrieren, und die ziehen zu Anfang offenbar mehr Aufmerksamkeit auf sich. Die Diskussion will nicht so recht in Gang kommen. Erst langsam wagen sich einzelne vor. Er habe kürzlich mit dem Rotary-Club ein Heim für Behinderte besucht, berichtet ein älterer Herr. Das Land zahle hierfür jährlich 40 Millionen:“Wer soll das noch alles bezahlen?“ Ein Arzt klagt über das Gesundheitsstrukturgesetz, ein anderer Besucher fordert von der Bundes-FDP mehr Engagement beim Subventionsabbau ein. Diekwisch ist nach der dreistündigen Diskussion sichtbar verärgert. Kaum landespolitische Fragen und das, obwohl er mit den Forderungen nach einem Entbürokratisierungsgesetz und einem schlanken Staat glaubt, die Themen gefunden zu haben, die für Niedersachsen von zentraler Bedeutung sind. Es geht weiter.
Rechts und links zahllose FDP-Plakate mit dem Slogan "Weniger Staat - mehr Niedersachsen". Die Ortsverbände haben ganze Arbeit geleistet. Diekwischs Ärger über das Gejammer der Ärzte nimmt langsam ab. Die Stimmung im Bergener FDP-Ortsverband ist gut. Die jüngste Infas-Umfrage, die den Liberalen magere fünf Prozent prognostiziert, wird mit Gelassenheit registriert. Gute Munition für eine Zweitstimmenkampagne der FDP, die den Wahlkampf mit einem Etat von 1,2 Millionen bestreitet. „Die Infas-Umfrage beschert uns acht Prozent“, freut sich der Bergener Ortsverbandsvorsitzende. Optimismus, der Diekwisch auf der Heimfahrt über mögliche Koalitionen sinnieren läßt. Mit der CDU wird es wohl nicht reichen. Derzeit spricht manches für eine rot-gelbe Koalition, aber festlegen will er sich nicht. Nur eines ist für Diekwisch sicher: Eine Ampelkoalition mit den Trittin-Grünen wird es mit der FDP nicht geben.
Danyel Reiche
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