Ampel intern: Nichts tun spart am meisten

■ Das 200-Millionen-Loch und seine Folgen: Was die internen Papiere der gescheiterten Sparrunden '94 verraten

Vor mir liegen gut einhundert Seiten grauen Umweltschutzpapiers, Innereien aus der Bremer Ampel-Koalition. Sie geben Aufschluß darüber, womit sich die Landesregierung in den ersten drei Monaten dieses Jahres herumquält: Es sind Stellungnahmen und Anträge zu der Beratung des Senats über die Kürzungen des Haushaltes 1994.

Der Senat hatte den Stapel am Dienstag dieser Woche vorliegen, um zu entscheiden, wo die erforderlichen 195 Millionen aus den Haushalten 1994 und 1995 gestrichen werden können. Zwar hatten die Haushälter schon bei der Verabschiedung des 94'er Haushaltes im Dezember vergangenen Jahres gewußt, daß eine Korrektur in dieser Größenordnung nur wenige Wochen später erforderlich werden würde. Wie Kinder, die sich die Augen zuhalten, hatten sie aber die unangenehme Wahrheit aus der Welt geschafft und den ungesicherten Haushalt bis auf die letzte Mark verplant.

Am 18. Januar lag es dann auf dem Tisch des Senats, daß 200 Millionen zuviel verplant waren, und es sollte nun ernst gespielt werden. Der Finanzsenator wollte jedem Ressort eine Sparquote aufdrücken und in diesem Rahmen selbst entscheiden lassen, was wo gestrichen werden muß. Die Landesregierung wollte das aber so nicht und verpflichtete sich selbst, daß jedes Ressort bis Ende Januar Stellungnahmen und Vorschläge erarbeiten würde, auf deren Grundlage dann am 15. Februar entschieden werden könnte. Während nach außen diese Fiktion aufrechterhalten wurde, war intern längst klar: Am 15. Februar würde der Senat das Thema wieder vertagen, diesmal aber zum letzten Mal und auf den 15. März.

Bremen ganz oben ein Bild des Jammers. Einige der Stellungnahmen zu den vorgeschlagenen Kürzungsquoten sind wirklich herzerweichend. Der Datenschutzbeauftragte zum Beispiel teilte dem Senat mit, daß seine Behörde möglichst bereits in den nächsten Wochen ein neues Telefax-Gerät braucht. Kostenpunkt: 2.400 Mark. Das alte sei wirklich technisch überholt und leide zudem an Funktionsstörungen. Die Senatskanzlei bietet großzügig 4.000 Mark aus ihrem Etat zum Erwerb von Inventar zur Streichung an. Der Rechnungshof teilt mit, daß er auf die ihm bewilligten Gelder zum Erwerb neuer Deckenleuchten aber auf keinen Fall verzichten könne, da einige Leuchten abgängig seien. Außerdem säßen einzelne Kollegen auf Stühlen, die die DIN-Normen nicht erfüllten, und wenn die Sanierung des Gebäudes jetzt nicht endlich begänne, seien Folgeschäden in der Bausubstanz zu befürchten, d.h. es würde alles noch teurer.

Von diesem Problem kann auch der Bildungssenator ein Lied singen: Seit Jahren könne nicht einmal mehr das Dringendste wegen des viel zu gering bemessenen Eckwerts in Auftrag gegeben werden; es gebe einen enormen Stau an Sanierungs-, Bau- und Reparaturmaßnahmen. Die Senatorin für Arbeit und Frauen teilt mit, daß es verschiebbare Investitionsprojekte, bei denen sich wenigstens 1994 sparen ließe, in ihrem Etat schlicht nicht gebe. Die Sozialsenatorin schreibt, eine neuerliche Kürzung ihres Etat hätte politisch dramatische Folgen. Der Vorschlag, über den geltenden Finanzplan hinaus im Bereich Jugend und Soziales einzusparen, müsse zu Eingriffen in den Kernbereich der Politik ihres Hauses führen.

Die Sozialsenatorin weist noch auf ein anderes Problem hin: Mit ihrem sogenannten 37-Millionen-Programm und dem 11-Millionen-Bürgermeister-Programm hat die Ampel in der Haushaltsdebatte ihr Profil herausstreichen wollen. Drogenhilfe, Eltern-Kind-Gruppen und viele andere schöne Dinge werden daraus finanziert. Da diese Programme aber nicht im ordentlichen Haushalt stehen, klaffen ausgerechnet an diesen Stellen bei der Fortschreibung des Etats für 1995 nur Lücken.

Soll das Profil der Ampel im Wahljahr 1995 in sich nicht zusammenbrechen, müssen die betroffenen Ressorts sich da etwas überlegen. Vor allem die Ressorts mit den großen Investitionshaushalten (Wissenschaft, Bau, Wirtschaft, Häfen) erklären kategorisch, da zehn Prozent wegzustreichen, gehe einfach nicht. In diesem Sinne etwas provozierend bietet das Bauressort freimütig an, die 800 Millionen für den Bau neuer Radwege schlicht ganz zu streichen und auch die 1,8 Millionen für die im Koalitionsvertrag versprochene autofreie Innenstadt.

Und so weiter. Die Not ist zum Erbarmen groß, das liest man aus fast jeder dieser Ressort-Stellungnahmen. Und selbst der Umweltsenator Ralf Fücks, der am 17. Januar noch die Vertagung der Kürzungs-Entscheidung gefordert hatte mit dem konstruktiven Vorschlag, jedes Ressort solle bis zum 15. Februar eine Prioritäten-Liste der Investitionen vorlegen, die aufgegeben oder zeitlich gestreckt werden könnten, muß dann am 24. Januar kleinmütig zugeben, kürzen ließe sich in seinem Ressort eigentlich nur etwas, was politische Priorität haben müßte: das Paket CO2-Reduzierung. Sollte es bei der Vorgabe bleiben, daß gekürzt werden muß, dann werde er sich aber beugen und die Sparmöglichkeiten konkret benennen, aber bitte nicht zum 15. Februar, sondern im Herbst.

Kollegialprinzip heißt: Jeder Senator für sich. Warum um Himmels willen, so fragt man sich nach der Lektüre von sieben derartigen Schriftstücken, warum hat der Senat nicht gleich im Dezember einen um zwei oder drei Prozent geringeren Haushalt beschlossen, wo die steigenden Sozialhilfe-Ausgaben und die sinkenden Steuereinnahmen, die drei Wochen später angeblich die neue Lage geschaffen haben, doch schon absehbar gewesen waren? Was war die erfolgreiche Verabschiedung des Haushaltes wert, die die Ampel im Dezember 1993 gefeiert hat, wenn acht Wochen später die Hälfte der Haushaltspositionen wieder durchgekaut und in einem nervenaufreibenden und mühsamen Verfahren auf Streich-Möglichkeiten abgeklopft werden müssen?

Aber das Bild des Jammers ist nur die eine Seite der Haushalts-Wahrheit. Unter den hundert Seiten liegt auch Papier des Finanzsenators, der beim Controlling des Dezember 1993 festgestellt hat, daß eine Reihe von Ressorts in den Wochen vor Abschluß des alten Jahres ganz kräftig und deutlich über den genehmigten Rahmen hinaus Investitionsausgaben getätigt haben. Das 1993 erstmalig eingeführte Controlling habe deshalb nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt, auf deutsch: Die Ressorts haben den Finanzsenator ausgetrickst.

103 Millionen sind 1993 mehr ausgegeben worden als selbst der letzte Nachtragshaushalt erlaubt hat. Aber nicht nur das. 27,6 Millionen hätten die Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB) für Eigenkapitalzinsen zahlen müssen und haben sie nicht gezahlt. Auf 25 Millionen summiert allein die Abteilung Wirtschaftliche Hilfen des Sozialressorts auf, was im Etat 1994 steht und die voraussichtlich doch nicht benötigt wird: z.B. 7,5 Millionen, wenn die Pflegeversicherung kommt und das bremische Landespflegegeld gestrichen werden kann, 4,5 Millionen bei der Sozialhilfe aufgrund von Asyl- und anderen Bundesgesetzen, die im Dezember bei der Haushaltsberatung längst in Kraft getreten waren und in ihren Auswirkungen hätten bekannt sein können. Gleichzeitig ist aber die Sanierung des Tivoli-Hochhauses an keiner Stelle im Haushalt abgesichert.

Der Wirtschaftssenator hat in seiner Stellungnahme am schönsten demonstriert, wie wenig die einzelnen Senatoren kollegial die Haushaltsprobleme ernst nehmen. Grundsätzlich, sagt das Wirtschaftsressort, führen ja die Investitionen aus dem WAP zu der dringend gewünschten Steigerung der Wirtschaftskraft Bremens, da ist also nichts zu kürzen. Höchstens beim Flughafenausbau, wo sowieso schon einzelne Maßnahmen durch die Flughafen-GmbH vorfinanziert wurden, könnte man 17 Millionen, die eigentlich 1994 gezahlt werden sollten, noch einmal verschieben. Dies sei allerdings ein einmaliger Kraftakt...

Einmalig schon, aber eigentlich weniger ein Kraftakt als vielmehr ein schlicht gestrickter Trick: Es handelt sich nämlich darum, daß auf diese Weise nicht Bremen 1994 diese 17 Millionen bei einer Bank leiht und dafür Zinsen bezahlt, sondern daß die Flughafen-AG das macht und Bremen dafür 1995 die Rechnung aufmacht. Der Vorteil ist ein optischer: Der Haushalt 1994 sieht besser aus, der Wirtschaftssenator hat mitgespart. Im Grunde wird mit dieser Masche der Vorfinanzierung aber nur ein Schattenhaushalt gebildet, der das tatsächliche Ausmaß der Verschuldung Bremens oder der Neuverschuldung in diesem Jahr verschleiert.

Ein Bürgermeister denkt für alle. In den Wochen nach dem 18. Januar muß dem Bürgermeister aufgegangen sein, daß auf der Basis der eingehenden Stellungnahmen ein Haushaltsbeschluß am 15. Februar nicht möglich sein würde. In aller Vertraulichkeit arbeitete er deshalb einen Alternativ-Vorschlag aus, den nicht einmal die Staatsräte vor dem Februar-Termin kennen durften. Die versammelten SenatorInnen erhielten es zu Beginn einer vertraulichen Vorbesprechung am 14. Februar als Tischvorlage. Es sollte den Durchbruch bringen.

Wie alle genialen Papiere ist es dabei ganz dünn, nur vier Seiten stark, und basiert auf einer radikalen Idee: bei den konsumtiven Ausgaben, also den laufenden Ausgaben neben dem Personal, soll weniger gespart werden, denn das kann Einschnitte in bestehende Ansprüche bedeuten. Bei den Investitionen soll dafür mehr gespart (sprich: zeitlich verschoben) werden als der Finanzsenator am 18. Januar vorgeschlagen hatte. Wedemeier hatte sich von seinem Stab für die Investitionskürzungen gleichzeitig einen konkreten Vorschlag mit Zahlen und gestrichene Vorhaben ausarbeiten lassen. Was welchem Ressorts aber an Kürzungen bei den konsumtiven Ausgaben erspart bleiben würde, stand auf den vier Seiten nicht.

Die Idee hat den großen, unschätzbaren Vorteil der politischen Entlastung für die drei Ampel-Partner in den Wahlkampf-Jahren 1994 und 1995. Die Idee hat aber den Haken, daß bei einer Fortschreibung des Haushaltes die höheren konsumtiven Ausgaben als laufende Kosten weitergeführt werden müssen, während die aufgeschobenen Investitionen später (vielleicht: nach der Wahl 1995) mit um so stärkerer Dringlichkeit in die Kasse schlagen und nachgeholt werden müssen (Beispiel: Flughafen, s.o.).

In den Senatsberatungen Anfang dieser Woche hatte das Bürgermeister-Papier aber vor allem die Wirkung, alles noch einmal komplizierter und unentwirrbarer zu machen. Denn auf die höheren Investitions-Einsparungen waren die Ressorts nicht vorbereitet, und was mit den konsumtiven Ein-sparungen werden soll, stand sowieso in den Sternen. Wie soll einer dazu Ja sagen? Nur das Gehalt läuft normal weiter...

Wie die Geschichte endete, ist bekannt: Der Senat beschloß nach zäher Debatte nur noch einmal, daß die 200 Millionen eingespart werden sollen (und daß dafür nicht die Schulden-Tilgung angetastet wird). Und dann vertagte die Landesregierung das Problem noch einmal um vier Wochen. Bis dahin sind die wichtigsten Köpfe der Ampel wieder mal mit sich selbst beschäftigt. Mit einem Nebeneffekt: viel Geld ausgeben darf der Senat erst einmal nicht. Denn bis zur ordentlichen Beschlußfassung über die Haushaltskürzungen gilt die Bewirtschaftung der Mittel, d.h. es dürfen nur laufende und gesetzliche Ausgaben getätigt werden. Alles andere muß liegen bleiben und warten, es sei denn, der Senat beschließt eine Ausnahme . (Im Sommer wird der Finanzsenator vielleicht ausrechnen, wieviel allein dadurch gespart wurde!)

Somit kann die Lage in mancher Behördenabteilung für das erste Quartal dieses Jahres so beschrieben werden: Das Gehalt läuft weiter, aber die normale Arbeit geht in vielen Abteilungen nicht recht voran. Bis zum 15. März werden stattdessen manche Mitarbeiter Überstunden machen, um Dringlichkeitsanträge auf eine Ausnahme von der Bewirtschaftung des Haushaltes zu formulieren. Und dann sieht man weiter. Falls bis dahin klar ist, daß die ÖTV sich auf eine Nullrunde einlassen mußte und die drei Prozent Lohnerhöhung, die die Bürgerschaft im Haushalt 1994 eingeplant hatte, nicht bezahlt werden müssen, hilft das wenig: Die 60 Millionen Mark sind unter der Hand längst schon anderweitig verplant.Klaus Wolschner