Dieser blöde liebe Gott

■ Auf der Suche nach dem Pfad der Vernunft: In Bremen bereiten sich acht Jugendliche auf die „Jugendweihe“ vor

Acht Bremer Jugendliche im Alter von 14 und 15 Jahren treffen sich einmal in der Woche zu einem freiwilligen Unterricht. Sie reden über Liebe und Sex, Rechtsradikalismus nd Frieden, Sekten und Drogen. Und darüber, was es bedeutet, erwachsen zu werden. Konfirmandenunterricht? Falsch! Junge AtheistInnen bereiten sich auf ihre Jugendweihe vor. Mitte Mai feiern die Freien Humanisten Bremen im Focke-Museum mit erbaulicher Musik und Rezitationen eins ihrer größten Feste, den Eintritt der Jugend in die Gemeinschaft der Erwachsenen.

Jugendweihe, war das nicht damals in der DDR diese eigenartige, aber unglaublich populäre Mischung aus Fahneneid und Familienfeier, der Höhepunkt eines jeden FDJ-Lebens? Schon wahr, aber eigentlich ist dieses atheistische Initiationsritual schon über 100 Jahre alt. Ihre Erfinder waren der Kirche entsprungene Freireligiöse und Sozialisten, die schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts verstanden hatten, daß man mit dem Joch der Kirche nicht gleich auch alle Rituale abschütteln soll.

Die Lehrerin der Bremer Jugendlichen und Vorsitzende der Bremer Humanisten ist Ursel Leitzow. Sie ist eine fröhliche Frau und im Besitz der Leittugend aller Humanisten und Freidenker: Sie glaubt an die Vernunft des Menschen.

Es kommt aber auch vor, daß sie daran irre wird: „Ich denke oft, es endet ganz fürchterlich – Unvernunft, Gewalt, religiöser Fanatismus überall.“ Aber sie hält daran fest: die Welt retten durch Toleranz. Weil der Humanist weder Bibel noch Heilige hat, hält er sich an Aufklärer, Freigeister und gute Menschen aus der Literaturgeschichte: Borchert, Goethe, Nietzsche, Heine, Feuerbach und Albert Schweitzer fallen ihr auf Anhieb ein. Deren Texte werden gern bei der Jugendweihe gelesen.

Es sind gerade die Feiern, die die humanistischen Gemeinschaften für Kirchenferne interessant machen. Daß denen etwas fehlt, macht sich an entscheidenden Punkten im Leben bemerkbar: Wie begeht man außerhalb der Kirche Geburt, „Konfirmation“, Hochzeit und Begräbnis so feierlich, wie man es möchte (und wie es alle anderen machen). Und einmal im Jahr kommt der Konfessionslose auf jeden Fall ins Grübeln: zu Weihnachten.

Die Humanisten feiern all das auch, nur eben ohne den lieben Gott. „In Hannover zum Beispiel ist Beerdigung ein ganz starkes Geschäft,“ erzählt Frau Leitzow. „Die haben festangestellte Beerdigungsredner.“ Es gibt aber auch Frühlingsfeiern und Feste zur Sommersonnenwende mit großem Feuer. „In Bremen ohne Feuer,“ schränkt Frau Leitzow ein – man befürchtet, Nazis anzuziehen. „Wir bekämpfen solche Leute“, betont sie.

Sie muß das betonen. Bei den Freidenkern gab es immer Gruppen, die ihr Heil statt im Himmel bei Scholle und Volk suchten. Namentlich den Deutschen Unitariern, die derselben Dachorganisation wie die Humanisten angehören, werden auch heute noch manchmal völkisch-religiöse Momente und Antisemitismus vorgeworfen. Aus solchen Gründen trennten sich die Bremer Freidenker von den Bremer Unitariern, doch Frau Leitzow sagt heute: „Die jungen Unitarier kämpfen genauso wie wir.“

Freidenker haben alle einen eigenen Kopf. Entsprechend schwer ist es, sie zu organisieren. In Süddeutschland sind sie „christlicher“, sagt Leitzow, „da ist der liebe Gott noch im Spiel.“ Die Oldenburger gelten als „ultrarechts“, während es in Hamburg fast nur SPD-Anhänger und Kommunisten gebe.

Von den etwa 100 zahlende Mitgliedern der Bremer Sektion sei die Hälfte bei den Naturfreunden, beim BUND, bei Greenpeace oder einfach so für den Frieden engagiert. Viele davon Lehrer, sonst Unter- und Mittelschicht, oft in der Tradition der Arbeiterbewegung. „Die Reichen brauchen die Kirche, damit sie gesellschaftlich nicht daneben sind.“

Die ländlichen Gemeinschaften sind stärker (Oldenburg 200, Brake 300 Mitglieder); die Bremer Humanisten fühlen sich von der städtischen Presse boykottiert. „Auf dem Land braucht man nur ein Kaffeetrinken zu machen, schon ist man in der Zeitung.“

Wie funktioniert die humanistische Ethik? „Das ist wie die zehn Gebote ohne den lieben Gott“, sagt Ursel Leitzow. Alles reine Gewissensfrage, ob Sex vor der Ehe, Abtreibung oder Sterbehilfe: „Keine Vorgabe.“ Aber doch eine ganz klare Meinung: „Es ist nicht mein Anspruch, Leben unbedingt zu erhalten. Man muß sich fragen, tut man den Kindern etwas Gutes, oder ist es besser, sie sind nicht auf der Welt?“ Das gelte besonders für das „behinderte Kinder im Bauch“, etwa das mongoloide.

„Wenn diese Kinder in Friedehorst landen, bin ich für Abtreibung.“ Frau Leitzow hat eine Zeitlang in den Bremer Friedehorst-Anstalten gearbeitet und weiß, wovon sie redet.

Sie sagt auch Sätze wie diesen: „Wenn eine Frau Probleme hat mit einem Negerkind im Bauch, und der Vater ist nicht da – man schafft Elend.“ Gerade in dieser Zeit. Abtreibung könnte Abhilfe schaffen. Entsprechend stehen viele Freidenker zur Sterbehilfe. In der umstrittenen Gesellschaft für humanes Sterben, die Gift für den gewünschten Suizid zur Verfügung stellt, „sind sehr viele von uns drin“. Ja es scheint bei ihnen eine besonders große Angst vor einem langen und grausamen Tod zu geben. Dahinsiechen und leiden, das sei „unmenschlich“, findet Ursel Leitzow.

Im Augenblick bereitet sie sich für den Jugendunterricht auf das Thema „Sex“ vor. Da gibt es doch so ein prima kirchliches Buch über Sex, sehr gut gemacht, aber leider unbrauchbar: „Wenn die bloß ihren blöden lieben Gott rauslassen würden...“ Dabei ist für Ursel Leitzow – typisch freidenkerisch – nicht einmal ihr Atheismus ein Dogma: „Ich lege keine Hand dafür ins Feuer, daß ich nicht mit 60 an den lieben Gott glaube.“

Burkhard Straßmann