„Wir haben nichts gegen nette Männer“

■ Frauen in Selbstverteidigungskursen stärken ihr Selbstbewußtsein / Jiu-Jitsu und Karate sollen nicht nur vor Angriffen schützen, sondern auch innerliche Blockaden abbauen

Lachen schallt durch die Sporthalle. Mehrere Frauenpaare wälzen sich auf der grünen Bodenmatte. Jeweils eine Frau liegt auf dem Bauch, Beine und Arme von sich gestreckt und die Muskeln angespannt. Die Partnerin sitzt auf ihr und versucht sie auf den Rücken zu drehen. Eine spielerische Übung, bei der die Frauen lernen, sich schwer zu machen.

Sie sind keine paranoiden Männerhasserinnen und keine bornierten Spinnerinnen, die jedem Typen, der ihnen auf der Straße begegnet, das Nasenbein brechen wollen. Frauen, die eine Selbstverteidigungssportart trainieren, müssen sich häufig gegen derlei Vorurteile zur Wehr setzen.

„Wir haben überhaupt nichts gegen nette Männer. Wir wollen uns nur gegen Männer wehren können, die uns verbal oder körperlich angreifen“, sagt die Jiu-Jitsu-Trainerin Ines. Solche Situationen hat fast jede Frau schon einmal erlebt. Eine persönliche Erfahrung oder die Angst vor einer Vergewaltigung mag bei vielen Frauen der Auslöser sein, eine Kampfsportart zu erlernen. Nach einiger Zeit steht jedoch der Spaß am Sport im Vordergrund. „Der permanente Gedanke, sich gegen einen Mann verteidigen zu müssen, verliert sich“, meint Ines.

Berit hat vor anderthalb Jahren mit dem Jiu-Jitsu-Training begonnen, um sich fit zu halten. Mittlerweile hat sie jedoch eine Veränderung in ihrem Verhalten festgestellt: „Durch das Selbstverteidigungstraining trete ich viel selbstsicherer auf. Ich weiß, daß ich mich wehren kann.“ Kürzlich saß sie in der U-Bahn. Ein Obdachloser stieg in den Zug und bat um Geld. Als er an der nächsten Haltestelle ausstieg, schrie ihm ein anderer Mann hinterher: „Du dreckiges Schwein. Ich polier' dir die Fresse.“ Berit wollte die diffamierenden Sprüche nicht kommentarlos hinnehmen. Sie sagte dem Mann, er solle das Maul halten. Daraufhin schwieg er. Berit hat nicht mehr das Gefühl, aus Angst den Mund halten zu müssen.

Es kommt auf das richtige Verhalten und das entsprechende Auftreten an. Schon allein dadurch können Frauen gefährlichen Situationen unversehrt entkommen. „Wir trainieren nicht nur die körperliche Gegenwehr, sondern auch psychologische Strategien“, sagt Petra, eine der Trainerinnen im Verein Selbstverteidigung für Frauen. Den Verein gibt es seit achtzehn Jahren – ein Hinweis darauf, daß sich Frauen nicht erst seit der jüngsten Gewaltwelle im Januar schützen wollen. Gewalt gegen Frauen, ob auf der Straße oder zu Hause, ist nichts Neues.

Im Verein für Selbstverteidigung können die Frauen und Mädchen zwischen verschiedenen Kursen wie zum Beispiel Jiu-Jitsu, Karate, Kickboxen oder Wendo wählen. Jede Stilrichtung setzt andere Schwerpunkte. Die Frauen üben zum Beispiel, wie sie fallen müssen, ohne sich zu verletzen, wie sie sich aus Würgegriffen befreien können und wie sie sich im Nahkampf verhalten sollen. In Rollenspielen werden gefährliche Situationen nachgestellt: Wie soll sich frau nachts alleine im Parkhaus verhalten und wie reagieren, wenn sie im Sommer auf der Wiese liegt und ein Exhibitionist auf sie zukommt? „Natürlich ist die Trainingssituation immer anders als die Realität. Ich bin mir aber sicher, daß die Frauen lernen können, im Falle eines Angriffs Blockaden zu überwinden, nicht in einen Schockzustand zu verfallen und sich zu wehren“, meint Petra.

Blockaden abbauen, die sich im Laufe der Jahre durch Erlebnisse im Körper festgesetzt haben — das gelingt vielen Frauen erst durch das Selbstverteidigungstraining. „Für mich ist das Karate-Training eine Art der Selbsterfahrung, eine Meditation, durch die ich ruhiger und ausgeglichener werde“, sagt Petra. Viele Frauen können dieses Gefühl nur dann erlangen, wenn sie unter ihresgleichen trainieren. „Jiu-Jitsu ist eine Sportart mit viel Körperkontakt. Es kommt darauf an, Vertrauen zur Partnerin zu entwickeln. Das fällt mir leichter, wenn ich mit Frauen trainiere. Ich muß nicht erst irgendwelche Hemmschwellen abbauen“, so meint Berit.

Wenn Frauen angegriffen werden, dann in der Regel von Männern, deshalb wollen viele Frauen nicht mit Männern trainieren. Männerhasserinnen sind sie deshalb nicht. Annabel Wahba