Kleingeriebener Phrasenparmesan

■ Sinnschwer und experimentierscheu: Videos aus Osteuropa

Das Liebesspiel ist vorbei. Die Frau rollt vom Bauch ihres Bettgefährten hinunter. Noch leicht zerzaust schaut sie sich im rotlicht- durchfluteten Schlafzimmer um, blinzelt ein wenig und holt tief Luft. Zeit zum Verschnaufen, Zeit für Schopenhauer. „Für uns ist die Gesamtheit des Seins völlig unerträglich“, überfällt sie ungefragt ihren Zuhörer. Mit einer Mimik, als suche sie seelenruhig nach ihrer Nagelfeile, entledigt sie sich einer Reihe schwerverdaulicher, dafür aber existenzphilosophischer Aphorismen, die ihr wohl schon lange im Magen gelegen haben. Wenig später muntert John Cleese im schneidigen Staccato erschöpfte Radler am Straßenrand auf: „Die Gegenwart ist immer auch Vergangenheit und Zukunft“ und rauscht im Auto vorbei.

Das war eine Sequenz aus „Clockwise“, es folgt eine aus „A halhatatla'nsgro'l“ von Imre Gábor. Der ungarische Regisseur legt Figuren aus bekannten und weniger bekannten Filmen Zitate von Jorge Luis Borges in den Mund. Auch Borges‘ Anleihen bei Schopenhauer, Heidegger und Husserl liefern Dialog-Material für die neue Synchronisation.

Bei Gábor paaren sich triviale Bilderwelten mit tiefschürfenden Grübeleien über das Sein, das Nichts und die Zeit. Mit dem ansteigenden Drehmoment des grotesken Reigens von behäbigen Sinndiskursen und verspielter Szenen-Collage verwischen sich die Konturen.

Die Frage „Was ist hier eigentlich banal?“ stellt sich immer wieder neu. Obwohl Gábor mit video- technischen Effekten wenig anzufangen weiß und Magnetband als billigen Zelluloidersatz zu nutzen scheint, zählt sein Auflauf aus europäischem Kino-Salat mit zerriebenem Phrasen-Käse zu den wenigen Sinnesfreuden im achtstündigen Themenblock „Videos aus Osteuropa“. Auch die Arbeit seiner Kollegin Ildikó Enyedi vom „Studio junger Künstler“amüsiert und beeindruckt trotz ihres eher filmischen denn videospezifischen Einsatzes von Kamera und Schnitt. In ihrem „Téli hadjarat“ führt eine Scheherazade durch eine Kolportage aus dokumentarischen Aufzeichnungen beider Weltkriege und aus Hollywoods Visionen orientalischer Schönheiten. In dieser märchenhaften Konfrontation wird die namenlose Angst der Soldaten pointenreich als die Furcht vor dem Fremden, nämlich der Frau, demaskiert.

Schwerfällig und sinnüberfrachtet dagegen die Arbeiten von Aleksandr Kuprin. Hilflos steht der TV-Regisseur aus der GUS in „Narcomania“ seinem Thema „Drogensucht“ gegenüber und wird nicht müde Junkies „blinde Rattenkinder“ und Haschisch als aller Laster Anfang zu dämonisieren.

Obwohl Video-Technik, digitale Schnitt-Systeme und Computer-Animationen in Osteuropa noch in den Anfängen stecken, überrascht es, daß viele Fest-Teilnehmer das Experimentieren scheuen, statt dessen seufzend auf 35mm-Pracht schielen. Birgit Glombitza